Kreis Düren/Adressbuch 1954/Düren

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Kreis Düren/Adressbuch 1954
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STADT DÜREN

Düren: Stadtplan des Wenzeslaus Hollar 1634 (Foto: Bildarchiv Rh. Museum Köln)

Aus tiefer Not zu neuer Blüte Vom Werden, von der Zerstörung und vom Wiederaufbau der Stadt Düren.

Als am Spätnachmittag des 16.11.1944 die Sonne den Sieg über die nur träge davonziehenden Staub-, Asche- und Qualmwolken über unserer Stadt erkämpft hatte, beleuchtete sie ein grauen erweckendes Bild. Zehntausende von Spreng- und Brandbomben hatten Düren, vordem eine wohlhabende und schöne deutsche Mittelstadt, in einen riesigen Trümmerhaufen verwandelt, den der englische Publizist Viktor Gollancs in seinem damals aufsehenerregenden Werk „In the darkest Germany" den „schwärzesten Punkt Deutschlands" nannte. Wenn diesem Zerstörungswerk auch der traurige Ruhm zukommt, die verheerendste und an Menschenopfern reichste Zerstörung unserer geliebten Heimatstadt zu sein, die erste war es nicht, wie uns ein kurzer Rückblick auf ihre Geschichte zeigt.

Im Bereiche der mittelalterlichen Stadtmauer wurden bisher weder vorgeschichtliche noch römische Funde gemacht. Es ist aber doch erwiesen, daß der fruchtbare Dürener Raum seit grauer Vorzeit besiedelt ist. Urkundlich wird Dürer» erstmalig in den sogenannten Meiner Annalnrj, einer Chronik des Aufstiegs des Frankenreiches, erwähnt. Der Chronist berichtet, daß Pippin, damals Hausmeier des Frankenreiches, im Jahre 748 in seinem Hofgut Düren einen Reichstag abgehalten hat. Es muii sich also schon um ein großes Hofgut gehandelt haben, das aber noch erheblich an Bedeutung gewann, nachdem Kaiser Karl der Große, Pippins Nachfolger, Aachen zum Mittelpunkte seines Reiches erhob. Die benachbarte Königspfalz Düren war dann auch in der Folgezeit mehrmals Schauplatz bedeutender politischer und militärischer Veranstaltungen. Ihre genaue Lage aber kennen wir nicht und ebensowenig ist uns das Ausmaß der weiteren Besiedlung bekannt. Wir wissen aber wohl, daß von einer Stadt, selbst im bescheidenen Sinne des frühen Mittelalters, nicht die Rede sein kann. In dem nun folgenden Jahrhundert machtpolitischer Auseinandersetzungen wurde der Dürener Raum von den Normannen heimgesucht, denen nachgesjgt wird, auch die Königspfalz zerstört zu haben.

Von Dürens mittelalterlicher Geschichte künden nur wenige Quellen. Wenn aber der Ort In einer Schenkungsurkunde König Heinrichs IV. aus dem Jahre 1087 „Dorf" genannt und in weiteren Urkunden aus den Jahren 1064 und 1065 unter den Orten erwähnt wird, welche des Königs Tafel zu versorgen hatten, so ist damit erwiesen, daß nach der Zeit der Not neues, kraftvolles Leben zur Blüte gekommen war.

In den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts wurde Düren zur Stadt erhoben, zu ,,seiner Stadt", wie Kaiser Heinrich II. beurkundete, als er sie den inzwischen zu großer Macht gekommenen Grafen von Jülich zum Pfände gab. Durch diese Verpfändung, die nie wieder eingelöst wurde, traten die Julicher Grafen, die 1336 Markgrafen und schon 1356 Herzöge wurden, in die Rechte des Kaisers ein. Düren war also nur kurze Zeit ,,freie Reichsstadt". Gleichwohl betonte der Rat der Stadt noch bei mancher Gelegenheit die nahen Beziehungen Dürens zum Reich und ließ seine Haltung besonders durch die Ausgestaltung des Stadtsiegels, das den julicher Löwen im waagerecht geteilten Schild unter dem Reichsadler zeigt, deutlich werden. Gegen Ende des Mittelalters war Düren eine wohlhabende Stadt, in deren Mauern Handel und Gewerbe blühten.

Als im Jahre 15(11 die Annareliquie nach Düren gebracht wurde und nach einem aufsehenerregenden Prozeß durch päpstlichen Richterspruch für immer hier bleiben durfte, brachte der gewaltige Zustrom der Pilger in den Folgejahren eine unerwartete Steigerung des Wohlstandes. Diese erfuhr eine jähe Unterbrechung, als die Stadt im Verlaufe der kriegerischen Erbauseinandersetzungen um das Herzogtum Geldern zwischen dem Kaiser und ihrem Pfandherrn, dem Herzog von Jülich, im Jahre 1643 durch kaiserliche Truppen völlig zerstört wurde. Dürens Bürger gingen unverzüglich an den Wiederaufbau, und es spricht für ihren unbeugsamen Lebenswillen, daß sie ihre Stadt in verhältnismäßig kurzer Zeit neu erstehen ließen. Damals bauten sie in den hochragenden Turm der St. Annakirche ein Glockenspiel ein, dessen lustige Weisen ihren Lebensmut bis 1944, dem Jahre neuen, gewaltigen Unheils, in das weite Dürener Land hinaussang. Wie schön Düren damals wiedererstand, zeigt uns der Stadtplan des Kupferstechers Wenzeslaus Hollar aus dem Jahre ietl. der ein bedeutendes Denkmal der älteren Geschichte unserer Stadt und die Grundlage der Stadtbildforschung darstellt.

Der 30jährige Krieg brachte neue Not. Im Jahre 1642 wurden Dürens Vorstädte niedergebrannt, und noch im Friedensjahre 1«48 wurde die Stadt, die fast ein Viertel ihrer Einwohnerschaft eingebüßt hatte, von den Hessen drei Wochen lang belagert und schließlich eingenommen. Aber auch nach dem Abschluß des 30Jährigen Krieges hatte die Not noch kein Ende. Länger noch als ein ganzes Jahrhundert gab die Kriegsfurie keine Ruhe. Den Raubkriegen Ludwigs XIV. folgten der Spanische, der Polnische und der österreichische Erbfolgekrieg, die Schle-sischen Kriege und schließlich, nach weniger als drei friedlichen Jahrzehnten, der Kampf gegen die französischen Revolutionsheere und die Befreiungskriege. Immer wieder wurde unsere Stadt in das Kriegsgeschehen einbezogen und ihre Bewohner geschätzt und drangsaliert. Mit der Angliederung unserer Heimat an Preußen begann ein Jahrhundert des friedlichen Aufbaues, eine neue, große Blütezeit. Abseits vom großen politischen und militärischen Geschehen dieser Zelt entfaltete sich das wirtschaftliche Leben in einem angesichts der Wirrnisse und Drangsale der Jahrhunderte vorher nie für möglich gehaltenen Ausmaße. Düren entwickelte sich in dieser Zelt dank des unermüdlichen Fleißes seiner Bürger und des wagemutigen Vorwärtsstrebens seiner Kaufleute trotz mancher Rückschläge zu einer bedeutenden und wohlhabenden Industrie-Mittelstadt. Die Einwohnerzahl wuchs in der Zeit von 1870 bis zur Jahrhundertwende von 13 000 auf das Doppelte. Die Erzeugnisse der Papierindustrie, deren Anfänge schon auf den Beginn des 18. Jahrhunderts zurückgehen, der Tuch-, Filztuch-, Teppich-, Glas-und Metallindustrie trugen den Namen der Stadt in alle Welt hinaus.

Dürens Wohlstand fand seinen Niederschlag in zahlreichen hochherzigen und reichen Stiftungen und kam in dem gesamten Stadtbild zum Ausdruck. Die kulturelle Bedeutung der Stadt überragte den Durchschnitt der deutschen Mittelstädte.

Der erste Weltkrieg und die Folgejahre haben den bis dahin fast ununterbrochenen Aufstieg vorübergehend gehemmt. Bis zum Aufbruch des zweiten Weltkrieges war der frühere hohe Stand nicht nur wieder erreicht, sondern überstiegen. Die Stadt zählte fast 50 000 Einwohner. Als Im zweiten Weltkrieg die Flut der alliierten Armeen im Winter 1944/45 in den Eifelbergen zum Stehen kam, wurde das Dürener Land Schauplatz härtester Kämpfe. Während noch im nahen Hürtgenwald in erbittertem Ringen um jede Handbreit Boden eigene und alliierte Divisionen verbluteten, sank am 16. Id. 1344 durch einen Luftangriff unvorstellbaren Ausmaßes unsere Stadt in Schutt und Asche. Tausende ihrer Einwohner kamen zu Tode und die Überlebenden verließen fluchtartig die Stätte unsagbaren Grauens. Über den Umfang der Zerstörung gibt die folgende Aufstellung Auskunft:

Im Jahre 1840 wurden in der Stadt insgesamt 9 348 Gebäude gezählt. Darunter waren 6 431 Wohn-und Geschäftshäuser. Von diesen waren total zerstört oder wegen schwerster Schäden unbenutzbar: 4253 -" 66,1 o/o teilzerstört und nur beschränkt benutzbar: M37 = 23,9 o/„ beschädigt, aber noch benutzbar: 62« = 9,8 o/0 ohne nennenswerte Schäden: 18 = 0,2 •/,

Von den 1940 vorhanden gewesenen 95 öffentlichen Gebäuden kirchlicher und weltlicher Art waren 66 total zerstört — darunter das Rathaus, die übrigen fünf städtischen Verwaltungsgebäude und das Stadttheater, der Stolz der DUrener Bürgerschaft —, IS so stark beschädigt, daß sie nicht mehr benutzt werden konnten und 14 beschädigt, aber noch benutzbar. Total zerstört waren auch das Kanalnetz und die Versorgungsleitungen der Stadtwerke. 26 Kilometer des rund 140 Kilometer messenden gut gepflegten Straßennetzes waren vernichtet und der Rest von Schuttmassen zugedeckt. Von den 40 vorhandenen Brücken waren 14 zerstört, darunter auch die beiden Straßenbrücken über die Rur, und weitere 10 schwer beschädigt. Die Zahl der Todesopfer wird wohl nie genau festgestellt werden können. Die Stadtverwaltung, die diese Zahl auf rund 8000 schätzt, hat in diesen Tagen die Bevölkerung aufgerufen, ihr bei der Ermittlung der annähernd genauen Zahl behLlflich zu sein.

Am Tage ihres Einmarsches in die vernichtete Stadt trafen die alliierten Truppen 4 Einwohner an, die sich aller Gefahren und Entbehrungen zum Trotz in den Trümmern versteckt gehalten hatten. Kaum wurde dem grauenvollen .Kriegsgeschehen Einhalt geboten, da begann auch schon die Rückwanderung der Dürener, die in primitiven Notunterkünften eng zusammenrückten und trotz ihrer aussichtslos erscheinenden Lage mit beispielloser Tatkraft an den Wiederaufbau gingen. Die Einwohnerstatistik gibt uns folgende Zahlen, die ein Spiegelbild einsatzbereiter Heimatliebe darstellen: Einwohnerzahl am 1. 4. 1944: rd. 50 000

25. 2. 1945: 4 15. 3. 1945: rd. 40 1. 5. 1945: rd. 1000 10. 7. 1945: rd. 11200 31. 12. 1945: 27109 31. 12. 1946: 29 679 3a. 12. 1991: 37 873 31. 12. 1953: 41019 Der Umfang der Zerstörung und der gewaltige Bedarf an Wohnstätten für die zurückströmende Bevölkerung schrieben die Disposition für den Wiederaufbau geradezu vor. An erster Stelle galt es, dem Wohnungselend zu Leibe zu rücken. Das geschah mit allen zu Gebote stehenden Mitteln. Das bisher gezeitigte Ergebnis ist eine stolze Leistung, deren sich unsere Stadt mit Recht rühmen kann. 1844 waren vorhanden rund 11800 Wohnungen Im Mai 19415 zählte das Wohnungsamt 110 bewohnbare Wohnungen Bis zum Währungsstichtag (20. 6. Ü948) wurden wieder aufgebaut 80« Wohnungen In der Zeit vom 21. 6. 1948 bis 31. 12. 1953 wurden erstellt 3 527 Wohnungen. Zur Zelt befinden sich rund 600 Wohnungen in der Bauausführung und weitere mehr als 350 Wohnungen sind hinsichtlich ihrer Planung fertig und ihrer Finanzierung gesichert, also baureif. Die bisherigen Leistungen erhalten ihre Krönung durch die Verwirklichung eines Bauvorhabens von 500 Wohnungen im Stadtkern, dessen lebensfähige Ausgestaltung städtebaulich unerläßlich ist.

Dürens Leistung auf dem Gebiete des Wohnungsbaues entspricht dem Dreifachen des Bundesdurchschnitts. Da aber immer noch rund 3000 Wohnungen fehlen, gilt auch in den nächsten Jahren dem Wohnungsbau noch das Hauptaugenmerk.

Auf dem Gebiete des Schulbaues steht Dürens Wiederaufbau an erster Stelle im Lande Nordrhein-Westfalen. Allein im Bereiche der städtischen Schulen sind fünf Schulen neu errichtet und weitere vier wiederhergestellt worden. Hlniu kommen noch die Schulneubauten des Kreises und die privater Schulträger.

Schon frühzeitig,, die vor dem Wiederaufbau stehende Aufgabe des Trümmerräumens war nur zum kleinen Teile gelöst, wurde die Wiederherstellung der Gotteshäuser in Angriff genommen. Da, wo das Vernichtungswerk ganze Arbeit geleistet hatte, entstanden zunächst Notkirchen und später prächtige Neubauten, w e die St. Bonifatiuskirche und die evangelische Christuskirche. Sie wurden für die unter harten Bedingungen schaffende Bevölkenung Quellen seelischer Kraft.

Ebenso frühzeitig erstand das Leopold-Hoesch-Museum wieder, das In Erfüllung seiner erweiterten Aufgabe als Volksbildungshaus zu den hohen Werten schöngeistiger Dinge führt. Beim Wiederaufbau des Straßennetzes galt es, den durch die Ausweitung des Straßenverkehrs geforderten Belangen weitgehend Rechnung zu tragen, ohne dabei das historisch bedeutsame Bild der alten Stadtanlage wesentlich zu verändern. In Wahrung dieses Grundsatzes entstanden in der Innenstadt schöne, breite Straßen, wäh'end es Aufgabe zukünftigen Bauschaffens Ist, den Durchgangsverkehr um die Innenstadt zu leiten.

Das Kanalnetz ist wiederhergestellt und auch die Versorgungsleitungen der Stadtwerke sind wieder in Ordnung. Zur Beseitigung des in den letzten Jahren besonders deutlich gewordenen Wassermangels errichtete die Stadt eine großzlglge Wassergewinnungsanlage am Rurstausee bei Obermaubach, die die Versorgung auf Jahrzehnte hinaus sicherstellt.

Dürens Industrie, Handel und Handwerk, die Grundlage früheren Wohlstandes, haben sich nach schwerem Start aus kleinsten Anfängen wieder emporgearbeitet. Sorgen sind allenthalben noch vorhanden. Läßt sich doch eine so umfassende Zerstörung in ihrer Gesamtwirkung nur durch die Arbeit von Generationen völlig überwinden. Heute aber haben die Erzeugnisse der Dürener Industrie ihre früh;re Stellung auf dem Weltmarkt weitgehend zurückerworben. Handel und Handwerk bieten il^re Waren in großstädtisch eingerichteten Geschäftsräumen an. Heute Ist unsere Stadt wieder wirksames Wirtschaftszentrum ihres reichen Hinterlandes. Möge uns eine friedliche Zukunft beschieden sein, eine Zeit der Verständigung der Völker, damit das Aufbauwerk ungestört vollendet werden kann zum Wohle unserer geliebten Heimatstadt, zum Wohle unseres Vaterlandes und darüber hinaus zum Wohle aller friedliebenden Völker.