Grundsätzliches über zeitgeschichtliche Darstellungen (Rösch)/Seite 2
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ihre vorgedruckten Formblätter haben fast stets unten den Probanden, und die Ahnenfolge baut sich nach oben auf, „bis zu Karl dem Großen hinauf“! Unkonsequenterweise pflegen dagegen Ahnenlisten gerade umgekehrt oben mit dem Probanden zu beginnen und mit (absolut) wachsender Generations- und Ahnennummer nach unten fortzuschreiten. Das uralte römische Verwandtschaftsschema und der daraus entstandene mittelalterliche „arbor genealogicus“ laufen entgegen dem „Stammbaum“ abwärts, woran anscheinend nie Anstoß genommen wurde. Ich bin überzeugt, daß eine wesentliche Ursache für diese Abwärtstendenz der Stamm- und Nachfahrentafeln vom Probanden aus die Art unseres Schreibens ist, das eine Zeile unter die andere setzt. Damit und mit dem altrömischen Schema somit in Einklang mußten nun eben die zahllosen gemalten und wappengezierten „Ahnenproben" auch auf den Kopf gestellt werden und vom Probanden aus nach oben wachsen (soweit sie nicht in Kreisform gemalt und somit ohne Oben-unten sind).
Ein interessantes Beispiel aus der Zeit des „Umdenkens“ finden wir im Schloßmuseum in Braunfels (Kreis Wetzlar). Dort hängt, auf Papier gemalt, eine „Stammtafel des Fürstlichen Hauses Solms-Braunfels“, auf der man, von barocken Emblemen umgeben, den mit buntem Wappen gezierten Stamm reichverästelt aus einem Hügel aufsteigen sieht. Eine spätere Hand hat aber partiell Stücke dünnen Papiers darübergeklebt, auf denen nun die Stammfolge von oben nach unten in Rechteckfelder geschrieben ist, durch die man aber die alte Zeichnung noch erkennt. Eine beigeschriebene Jahreszahl 1818 dürfte der späteren Darstellung zugehören.
Auf einen kurzen Ausdruck gebracht, steht also dem anschaulichen, nach oben wachsenden Stammbaumbild unsere Schreibgewohnheit von oben nach unten gegenüber, manchmal gleichsinnig, manchmal entgegen gerichtet.
Bei diesem heillosen, aber in seiner natürlichen Entstehung verständlichen Durcheinander fragt es sich, wie man sich in Zukunft verhalten soll, um im genealogischen Schrifttum nach Möglichkeit zu einer sinnvollen Einheitlichkeit bei Zeichnungen zu kommen. Nun, der Weg in solchen Fragen führt naturgemäß zum Deutschen Normenausschuß (DNA). Bald fand sich da das für alle Gebiete technischer und wissenschaftlicher Zeichnungen zuständige Normblatt DIN 461: „Graphische Darstellungen durch Schaulinien“, das in Richtlinie 1 aussagt:
„Positive Werte sind vom Nullpunkt aus nach rechts und nach oben, negative nach links und unten abzutragen. Statt von einem Nullpunkt kann auch von einem anderen Bezugspunkt ausgegangen werden.“
Diese klare Aussage, die eindeutig mit unserem Bild des „Stammbaums“ harmoniert, ist erfreulich, weil durch sie eine Gleichrichtung genealogischer Zeichnungen mit jeder verwandten graphischen Darstellung mit vertikaler Zeitskala (in Statistik, Medizin, Biologie, Geschichte, Geologie, Astronomie, Mathematik usf.) erreichbar ist. Schauen wir uns um, wo in dieser Hinsicht andere Disziplinen heute stehen, so ist klar, daß mathematisch-naturwissenschaftliche und technische Fächer die segensreichen Regeln der Normung bereits als Selbstverständlichkeit ansehen. So habe ich in einer größeren Bibliothek eine Reihe moderner Lehrbücher der Geologie aus aller Welt angesehen und gefunden, daß die Folge der Formationen, also der Erdzeitalter, wenn sie als tabellarisches Schaubild (nicht als Texttabelle!) geboten werden, die Zeitskala fast ausnahmslos nach oben gerichtet zeigen. Hierbei ist dies allerdings dadurch erleichtert, weil auch im natürlichen ungestörten Gesteinsverband meist die älteren Formationen unten, die rezenten oben liegen. In rein geisteswissenschaftlichen Disziplinen der Geschichte nähern wir uns bereits der verworrenen Situation, die unsere genealogische Wissenschaft vielleicht am krassesten zeigt.