Trostrede an meine Wittwe
Trostrede an meine Wittwe.
(Aus: Bürgermeistereiblatt für Gerresheim, Hubbelrath, Benrath und Hilden, Nr. 66 vom 17. August 1850 – Verfasser unbekannt)
Endlich, meine Liebe! Lebe ich wieder auf, denn ich bin todt und habe den Himmel gefunden, den Du mir am Tage unserer Verlobung versprachst. Meinen letzten Willen kennst Du, es war der, Dein Mann zu werden. Seitdem hatte ich keinen Willen mehr; willst Du aber ein Testament, in welchem es heißt: „ Du (der Mann) sollst über sie herrschen!“ Als Du hinter meiner Leiche gingst, schienst Du mir liebenswürdiger, als je; denn es war das erste mal in Deinem Leben, daß Du mir folgtest; hast Du nicht Alles gethan, mir meinen Tod zu erleichtern? War ich nicht durch Dich gewohnt, stets die Augen zuzudrücken? War ich nicht so sehr Dein Leben, daß mein Leben gar kein Leben war.
Siehe, Du, die ich im Tode liebe: nur kurze Zeit war es mir vergönnt, an Deiner Seite zu sein, und auch dafür danke ich dem Ewigen. In Deinem Besitz und Nichtbesitz lernte ich Himmel und Hölle kennen, es ist nun Zeit, daß ich auch die Erde kennen lerne. Ich gehe ein in das Reich der Todten und habe nur den einen Wunsch, daß Du mich da nie, o nie einholen möchtest. Mann und Weib sind ein Leib und eine Seele: so ging es uns auch, denn ich war eigentlich gar nichts, Du warst Mann und Weib. Alles habe ich Dir geopfert; ich hatte keinen Sinn mehr für Musik, denn Du machtest mich alle Harmonie vergessen, ich hatte keinen Sinn für die Dichtkunst mehr, denn ich fürchtete, unsterblich zu werden! So lange ich lebte, lebte ich für Dich, und war todt für mich; jetzt, da ich gestorben bin, lebe ich für mich, und bin todt für Dich!
Wie fühl' ich mich erleichtert; jetzt liegt blos ein Hügel auf meinem Herzen früher lagen Berge auf demselben. Ach meine geliebte Wittwe, mein Leben und mein Tod! überlasse Dich dem Schmerze über meine ewige Ruhe nicht so sehr, fasse Muth; sei ein Mann, wie ich es seit meiner ganzen Ehe an Dir gewohnt war! Der Wittwenstand ist auf Ehre der übelste Stand nicht; eine Dame von solchem Stande braucht oft große Standhaftigkeit, um nicht in einen Zustand zu gerathen, welcher unter anderen Umständen der gesegnetste ist. Ich wünsche, daß ich Dir hätte mit einem Beispiele vorangehen können, um Dich zu überzeugen, wie ein solcher Stand mit Fassung ertragen werden muß.
O, weine nicht! Es ist ja Niemand im Zimmer, und vor mir hast Du Dich ja nie geniert. Jetzt, da Du zum ersten Male mir ununterbrochen zuhörst, laß Dir alle Trostgründe sagen, die eine junge und gefühlvolle Wittwe aus dem Tode eines im Grabe geliebten Mannes noch schöpfen kann. Vier Jahre hast Du mir durch rastlose Unterhaltung das Leben verkürzt; Du hattest nur Augen für meine Schritte, nur Ohren, um den kleinsten Laut von meinen Lippen aufzufangen; Du hattest nur Thränen für mich. Du zeigtest der ganzen Welt ein heiteres Antlitz und mir an meinem Busen schüttetest Du Deine Wehklagen aus; Du warst für jeden Mann im Anzuge, so wie jeder Mann im Anzuge für Dich war, und nur für mich warst Du so nachlässig gekleidet, als ob ich selbst ein Kleid aus meinem Nachlaß wäre; der ganzen Welt schlossest Du Dein Herz auf, ich allein war der Glückliche, dem Du den Mund aufschlossest, und, ich Undankbarer! Wie hab' ich Dir das gelohnt?
Hab' ich Dir nicht immer durch mein Leben und Dasein den größten Aerger gemacht? Ja, erschrecke ich Dich nicht auch jetzt noch durch diese Worte aus dem Sarge, als ob ich ein Scheintodter wäre, oder als ob ich durchaus das letzte Wort haben müßte? O, stille Deine Thränen, Du mein nachgelassenes Werk; der schwarze Einband wird Dich so schmücken, daß Du bald einen zweiten Verleger finden wirst! Wie ist mir selbst der Tod so lieb, wenn ich mich nur an Dich zurückerinnere!
O, schreit nicht; ich höre Euch ja nicht; wozu das ängstliche Herablugen auf meinen Leichnam, ob ich nicht wieder aufathme? Wozu das ungeduldige, schmerzliche Entgegenharren der Todtengräber? Laß Dich von meinen offenstehenden Augen nicht täuschen; ich bleibe im Tode noch ein Ehemann und sehe mit offenen Augen nichts. Ueberlasse Dich der Trostlosigkeit nicht so sehr und rufe Dir den Tag zurück, an dem Dein kleiner Mops verschied, da hast Du noch herzlicher geweint und gejammert, ich glaubte, Du würdest verzweifeln, doch 24 Stunden darauf wähltest Du schon unter Dutzenden von Möpsen und Bologneserchen herum, und der gute Mops war vergessen. Und das war doch gar ein Mops, ich aber bin doch nur ein Ehemann!
So lebe wohl! Vergiß mich, und nimm, sobald es der Anstand erlaubt, einen anderen Mann. Nur den nicht, an den Du gestern dachtest, als Du an meinem Sterbebette saßest, denn den liebtest Du nur im Vergleich mit Deinem noch lebenden Manne, da scheinen den Frauen alle anderen Männer liebenswürdig. O glaube nicht, daß ich Dein ewiges Wittwenthum wünsche, ich besitze zu viel Nächstenliebe, um es nicht auch Andern zu gönnen, daß sie schon auf Erden zum Himmel geläutert werden.
Und willst Du meinem Wunsche nicht Folge leisten, so verbiete ich Dir, noch einmal zu heirathen: dann bin ich überzeugt, Du bist bald nicht mehr Wittwe. Mit Deinem zweiten Manne wirst Du gewiß oft von mir sprechen, ihm täglich meine Tugenden vorerzählen und mir dadurch beweisen, daß Dir Dein erster Mann im Grabe lieber ist, als Dein zweiter Mann im Leben.
- Weitere Fundstelle
- Eisenbergisches Nachrichtenblatt, Nr. 55 vom 11. Juli 1851