Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte/4/197

aus GenWiki, dem genealogischen Lexikon zum Mitmachen.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
GenWiki - Digitale Bibliothek
Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte
Register  |  1. Band  |  2. Band  |  3. Band
4. Band  |  Inhalt des 4. Bandes
<<<Vorherige Seite
[196]
Nächste Seite>>>
[198]
SH-Kirchengeschichte-4.djvu
unkorrigiert
Dieser Text wurde noch nicht korrekturgelesen und kann somit Fehler enthalten.

der blos gelehrten, starr orthodoxen, unpraktischen Theologen. Die Hallenser waren überhaupt die Praktiker. Sie waren von dem Streben beseelt, eine bessere Praxis in der bestehenden lutherischen Kirche überhaupt und in den einzelnen Landeskirchen zur Geltung zu bringen. Den „Kirchlein in der Kirche“ waren sie nicht hold. Man sieht darin die immer wiederkehrende Erscheinung, daß wenn die Oppositionsparthei an das Ruder gelangt ist, sie der ferneren Opposition nicht geneigt ist, vielmehr entschieden conservativ wird. Hatte Zinzendorf allerdings im Schoße der pietistischen Schule zu Halle seine erste Bildung und bleibende Anregung empfangen, so bewahrte er stets seine Achtung gegen die alten Häupter, Spener, Francke, Anton und Andere, und hatte nur mit ihren Nachfolgern gebrochen, und diese mit ihm. Er stand nicht im Rufe der Orthodoxie, welchen die Hallenser zu bewahren suchten. Ihm gefiel nicht der Zwang zum Bibellesen und Gebet, nicht die sehr in den Vordergrund gestellte Enthaltung von den sogenannten Mitteldingen, nicht das Formenwesen, worunter nach seiner Ansicht sich viel Heuchelei und Unwissenheit versteckte. Er schrieb sogar im Unwillen den Vers:

„Ein einzig Volk auf Erden
Will mir anstößig werden
Und ist mir ärgerlich:
Die miserablen Christen,
Die kein Mensch Pietisten
Betitelt, als sie selber sich.“

Freilich wollte er dieses, seiner eignen Erklärung nach, auf die Pharisäer und Heuchler eingeschränkt wissen, die er für verwerflicher hielt, als die sogenannten Weltmenschen. Doch die Hallenser blieben ihm abhold. Erst eine spätere Zeit führte die pietistisch Gesinnten oder doch dem Pietismus stärker Zugeneigten der Brüdergemeinde näher. Das war die Zeit, als in die Kirche der Abfall von den Grundwahrheiten des Christenthums eindrang, als die Versöhnungslehre Angriffe erlitt und die Gegner derselben in der Kirche freie Sprache erhielten. Da näherten sich diejenigen, welche an derselben festhielten, mehr der Brüdergemeinde, welche diese Lehre als ihren Mittelpunkt behauptete. Als der Unglaube einbrach, da erkannte man in der Brüdergemeinde eine Stütze des Glaubens.