Schackenau/Berichte
Wilhelm Zülchert erzählt
Die Wunden bleiben
Im Herbst 1923 wurde ich in der Bauernfamilie von Hans Zülchert als erster Sohn in Schackenau geboren. Später waren wir sieben Geschwister, drei Mädchen (Lotte, Erna und Grete) und vier Jungen (Walter, Siegfried, Horst und ich).
Mit 18 Jahren kämpfte ich in den Weiten der Sowjetunion. Auch mein jüngerer Bruder Walter folgte mir als Soldat. Dabei erlebte ich die Grauen dieses sinnlosen Krieges und geriet 1943 in Gefangenschaft, als uns im Kampf keine Munition mehr zur Verfügung stand. Acht Jahre überstand ich die unmenschlichen Herausforderungen in Gefangenenlagern und Arbeitskommandos jenseits des Urals in sibirischen Wäldern. Neben Hunger und körperlicher Anstrengung beschäftigte mich vor allem die Frage nach dem unbekannten Schicksal meiner Familie, denn uns erreichten keine verlässlichen Nachrichten.
Nach fast endlosem Hoffen auf Heimkehr, erlebte ich 1951 die Fahrt mit nur 38 kg Körpergewicht bis Frankfurt (Oder) teilweise ohne Bewusstsein. Als ich dann in einer Krankenstation endlich die Augen öffnete und die weißen Betten um mich sah, glaubte ich kurz, dass ich im Himmel angekommen sei.
Doch dann begannen die Tagesprobleme. Wie sollte es weiter gehen?
Aus den Gesprächen erfuhr ich, dass an eine Rückkehr nach Ostpreußen nicht zu denken sei. Anderseits konnte ich mir einen weiteren Aufenthalt im Verwaltungsbereich der Russen nicht vorstellen. Da wir einer Familie aus Recklinghausen mehrfach Ferien ermöglicht hatten, gab ich diesen Ort als mein Reiseziel an und war guter Hoffnung.
Durch die Kontakte im Lager lernte ich auch zwei Mädchen kennen, die gleichfalls aus sibirischer Gefangenschaft kamen. Sie fragten mich, ob ich der Willi aus Schackenau sei, da sie aus einem Nachbardorf waren und glaubten, mich zu erkennen. Als ich dies verwundert bestätigte, brachen sie in Schluchzen aus. "Wir sind mit deinen Schwestern Lotte und Erna im sibirischen Gefangenenlager gewesen. Sie sind leider nicht hier, sondern in Sibirien umgekommen." Ich hörte diese Nachrichten wie durch eine Nebelwand. Erneut stieg bei den beiden Mädchen das Entsetzen hoch, als sie stockend berichteten. Meine Schwester Lotte war im sibirischen Winter mit anderen Gefangenen beim Holzfällen eingesetzt. Beim Rückmarsch in das Lager blieb sie unterwegs erschöpft im tiefen Schnee liegen. Als später ein Wachposten mit Pferd und Schlitten die Schwester holen will, ist sie bereits erfroren. Auch die zweite Schwester Erna wird brutal von Wächtern des Lagers erschlagen, weil sie sich wegen der Zudringlichkeiten zur Wehr setzte.
Es war ein bitteres Zusammentreffen in Frankfurt. Die Mädchen hatten noch ein paar persönliche Andenken meiner Schwestern und übergaben sie mir. Sinne ich heute darüber, so war es zumindest eine gütige Fügung, denn ich habe nie wieder etwas über das Schicksal meiner Schwestern erfahren können.
In Recklinghausen wies mich die Bäckerfamilie brüsk ab, obwohl die Tochter bei uns mehrfach die Ferienzeit verbracht hatte und mit mir befreundet war. Doch ich war jetzt ein abgemagerter Habenichts. Erst bei einer armen Kriegerwitwe aus Ostpreußen fand ich Aufnahme und erlebte warmherzige Sorge. Sie brachte mich wieder auf ein Lebendgewicht, und ich gewann meine Lebenskräfte zurück. Der Steinkohlenbergbau gewährte mir eine sichere Existenz und meine spätere Ehefrau unterstützte mich in allen Belangen.
Über Kontakte zum Suchdienst des Roten Kreuzes erhielt ich weitere Kenntnisse über das Schicksal meiner Familie. Mein Bruder Walter war in Lettland gefallen, mein Vater verlor sein Leben bei der Verteidigung von Königsberg.
Meine Mutter und mein jüngster Bruder Siegfried kehrten nach dem Überrollen des Flüchtlingstrecks durch die Rote Armee nach Schackenau zurück. In einer Notgemeinschaft lebten sie mit einem gleichfalls zurückgekehrten Bauernehepaar, das ein siebenjähriges Kind hatte, im eigenen Bauernhof. In einer dunklen Herbstnacht wurden alle fünf Personen von einigen Männern, die der Roten Armee unterstanden, aus dem Bauernhof geholt und gezwungen, einen Wagen zu besteigen. Nachbarn hörten das Starten des Fahrzeuges, aber niemand kannte Gründe oder das Ziel, sie waren spurlos verschwunden. Im Sommer des folgenden Jahres entdeckten Frauen beim Beerenlesen im Padrojer Forst einen grausigen Fund. Zwei Frauen, der Mann und die beiden Kinder lagen ermordet unter dunklen Tannen.
Glück im Unglück hatte die jüngste Schwester Gretchen. Sie wurde zwar als 17-jährige nach Russland verschleppt, aber wegen schwerer Erkrankung und Arbeitsunfähigkeit nach Deutschland geschickt. Sie leidet noch heute unter ihrem Schicksal.
Einen kleinen Lichtblick in der Familientragödie sieht Willi in der damaligen wundersamen Rettung seines achtzigjährigen Großvaters, der von deutschen Soldaten am Wegrand gefunden, mit einem Schiff nach Dänemark gebracht wurde und später bei seiner Tochter in Berlin landete, die ihn in pflegende Obhut nahm.
"Als uns Willi diese Erlebnisse erzählt, stützt er sein Gesicht in beide Hände. Seine Augen strahlen gütig und erfüllt, weil er mit seiner zweiten Frau Maria glücklich ist, aber die Tränen rinnen in Trauer und Schmerz über die Verluste in seiner Familie."
Die Wunden heilen nie!
Aufgeschrieben und nacherzählt von Dr. Dieter Kuprat (geb. in dem Nachbarort Horstenau)
Charlotte Beck erzählt
Ein unvergesslicher Briefbericht über die Zeit der Gefangenschaft in Schackenau 1945
Ria und Walter Bork übergaben Dr. Dieter Kuprat ihren Briefwechsel mit Charlotte Beck aus den Jahren 1992 bis 1994 mit dem Ziel, diesen Schriftwechsel als Zeitdokument für Schackenau zu gestalten und durch Veröffentlichung im Internet und im Insterburger Brief zu bewahren. Auf eine Anfrage im Insterburger Brief von 1992 nach Schackenau entwickelte sich ein bewegender Briefwechsel zwischen der Familie Bork und der gebürtigen Königsbergerin, die nach den Wirren der Zeiten eine zweite Heimat in Stuttgart fand. In dem Gedankenaustausch über 8 Briefe schälte sich das Schicksal von Charlotte heraus, das den Berichten zu Schackenau (sinngemäß) hinzugefügt werden muss:
"Als die Rote Armee am 8. April 1945 unser Wohnviertel in Königsberg besetzte, wurden wir alle auf die Straße und aus der Stadt getrieben. An einer Sammelstelle formierte man einen Treck. Dann wurden wir tagelang unter bewaffneter Aufsicht sinnlos über Straßen und Sturzäcker getrieben. Am fünften Tag bei einer kurzen Rast sonderten Soldaten eine 63-jährige Frau, die etwas russisch sprach, eine Mutter mit zwei Kindern (2 und 4 Jahre), und mich mit meinem neun Monate alten Töchterchen Monika im Kinderwagen, der schon keine Bereifung mehr hatte, aus. Sie führten uns zu einem einzeln stehenden Haus, wo wir für die nächste Zeit allein lebten und für die Einheit die Wäsche zu reinigen hatten. Sie behandelten uns anständig und vergalten unsere Leistungen mit Milch und Brot. Nach der Kapitulation Deutschlands wurde diese Einheit zurück beordert, und wir blieben in dem abgelegenen Haus unbeschützt zurück. Wir waren nun gewissermaßen vogelfrei und mussten besonders nachts auf der Hut sein, um rasch aus dem Fenster zu flüchten. Das wurde uns so lästig, dass wir beschlossen, nach Königsberg zurückzukehren. Wir kamen aber nur bis zum Gut Laukischken, wo uns einige Russen stellten. Zwei Nächte haben wir im Gutshaus, das inzwischen verwüstet war, notdürftig geschlafen. Bald waren noch mehr Menschen, die gleichfalls nach Königsberg wollten, aufgegriffen worden, und es wurde erneut ein Treck gebildet.
Während des Marsches, es war zwischenzeitlich Juli, und nach unsäglichen Strapazen bei großer Hitze auf den Chausseen wurden uns auch noch Tagesaufgaben zugewiesen. Ich erinnere mich an das Hacken von Rüben von morgens bis abends auf dem Gut Laukischken. Ich registrierte immer weniger berührende Einzelheiten und Verletzungen, mich beseelte nur die Sorge um das Überleben meiner kleinen Monika. Der ständige Kampf um das Überleben deckte schlimme Erinnerungen allmählich zu.
Doch an den Gutshof in Schackenau erinnere ich mich noch gut. Dort mussten wir jeden Morgen zur Arbeit antreten und wurden in unsere Aufgaben auf der gebildeten Sowchose eingewiesen. Im Wohnhaus des Gutshofes waren die Kommandantur, die Leiter der Sowchose, ein Major und ein Leutnant untergebracht. Ein typischer Ausspruch des Leutnants war: "Warum sollen wir unser kostbares Pferdematerial schinden, wenn wir genügend deutsche Weiber haben?" In dem großen Stallgebäude gegenüber hausten unsere Bewacher. Außerdem waren dort Ukrainerinnen, die als Gefangene in Deutschland waren, von den Soldaten verächtlich behandelt. Aber auch sie beaufsichtigten uns und versuchten ihren sowjetischen Patriotismus dadurch zu beweisen, dass sie uns Deutsche nun besonders schikanierten. Wir waren nur armselig geschundene Kreaturen, die stumpfsinnig die aufgetragenen Arbeiten durchführten und sich mühselig durchs Leben schleppten. Weiterhin erinnere ich mich an ein etwas abgelegenes Haus mit großen Fenstern, es könnte eine Schule oder etwas Ähnliches gewesen sein. Wir kamen daran vorbei, als ich mit einer Gefährtin über etwa 7 km zu einer Kuhherde geschickt wurde, um beim Melken zu helfen. Dazu kamen wir allerdings zu spät. Acht Frauen arbeiteten an acht Zentrifugen auf der Wiese, um die Milch zu entrahmen. Als Lohn gab es einen Eimer Magermilch. Eine der Frauen erzählte uns aber, dass die Russen an jedem Tag mehr als 200 Liter Magermilch in den Graben gießen ließen, da sie keine Behälter oder Transportmittel hatten, während unsere Kinder und wir Gefangenen drohten, an Unterernährung zu sterben. Man hatte bemerkt, dass ich mit meiner Gefährtin zu spät bei der Kuhherde eingetroffen war. Deshalb drohte man uns mit Einsperren wegen Sabotage an der sowjetischen Volkswirtschaft. Es war grotesk.
In einem Haus, das sie das Königsberger Haus nannten, weil dort vor allem Königsberger untergebracht waren, sind nach und nach an die 50 Menschen an Typhus gestorben. Sie bekamen, als die Krankheit bekannt wurde, keine Nahrung mehr, und das Betreten des Hauses war verboten. Man sagte später, die Toten seien im Garten des Hauses "beigesetzt" worden. Der lange, kräftezehrende Arbeitstag, die unzureichende Ernährung und meine Sorge um mein Kind, das ich während der Arbeit fremden Menschen anvertrauen musste, und ein nicht endend wollender Durchfall, den ich verschwieg, zehrten so an mir, dass mir meine Umgebung und andere Schicksale gleichgültig wurden.
Ein 56-jähriger Deutscher, der auf dem Gut früher eine Art Inspektor war, fungierte auf dem Gut für die Deutschen als eine Art Bürgermeister und Verbindungsmann zur Armee. Als ich ihm mitteilte, dass mein Kind gestorben sei, antwortete er nur lakonisch: "Na, und was soll ich nu?", und das ziemlich barsch. Doch er besann sich und sagte etwas milder: "Ich kenn einen Mann, der kann ihnen einen Sarg bauen, und ich werde auf dem Friedhof ein Grab schaufeln lassen." Eigentlich hatte ich von ihm nur wissen wollen, welche Formalitäten nötig waren. Er sagte dazu: "Keine!" So haben wir das Kistchen mit dem Kinderwagen auf den Friedhof gefahren und das Grab selbst zugeschaufelt. Immerhin ein Kistchen und ein richtiges Grab. Die späteren Toten, die ich erlebte, wurden einfach in Bombentrichter abgelegt. Deshalb bin ich diesem Mann in meiner Erinnerung an die kleine Monika noch heute dankbar.
Später bei der Kartoffelernte wunderte er sich und sagte wieder: "Nu bin ich 56 Jahre alt geworden, aber so große Kartoffeln und so viele an einer Staude habe ich noch nicht erlebt." Vor der Ernte waren etliche Kartoffelschleudern (Buddler) in Ordnung gebracht worden. Doch als es an das Ernten ging, hatte es viele Tage geregnet, und bei dem tiefgründigen, nassen Boden blieben die Buddler stecken. Also mussten wir auf den großen Feldern mit Forken an die Ernte, das ging nur mühsam.
Als wir am 1. 11. 1945 entlassen wurden, gab es um Schackenau noch 200 Morgen nicht abgeerntetes Kartoffelland. So sagte jedenfalls der "Inspektor". Zunächst wurden die mit Erde verklebten Kartoffeln in die Feldscheune zum Trocknen gebracht, wo wir sie später zum Abtransport verladen mussten. Dabei war es bitter kalt und zugig in der Scheune. Alles, was brennbar an Türen und Toren und sonstigen brennbaren Materialien war, hatten wir verfeuert. Schließlich wurden keine Kartoffeln mehr abgeholt, deshalb sollten die verbliebenen Reste zu Kartoffelmieten aufgesetzt werden. Auf Anweisung des russischen Leutnants wurde ein freier Teil des Friedhofhügels ausgewählt. Während dieser Arbeit ging das uns bewachende Personal demonstrativ und uns verachtend auf den noch bestehenden Gräbern ihre Notdurft verrichten. Über unsere Abscheu und Proteste höhnten sie hämisch. Später erlebten wir, wie sie bestraft wurden. Denn auch weitere vorgefahrene Kartoffelwagen, deren Ladungen noch auf die Mieten aufgeschichtet wurden, waren eine Woche später statt der 1,50 Meter Höhe nur noch knapp 50 cm hoch. Sie waren zu früh und zu warm abgedeckt und faulten im Eiltempo mit höherer Temperatur. Die gesamte Arbeit und Anstrengung war umsonst. Doch auf den Feldern wuchsen auch Karotten und Rüben. Wir haben davon Sirup gekocht, da die Verpflegung nie reichte. Die Karotten aßen wir gegen Hunger, dass sie uns schier aus den Ohren heraus kamen.
An den Sonntagen mussten wir nicht arbeiten. Da reinigten wir unsere wenigen Kleider oder gingen auf "Suche". Einmal fanden wir ein Gartengelände; es war durch Parzellen und Zäune geteilt. Natürlich waren die Gärten verwildert, aber wir fanden ein paar Knoblauchknollen. Auf dem feuchten russischen Brot waren sie willkommene Abwechslung. Aber auch die Holzlatten der Zäune ergaben bestes Brennholz. Einen ganzen Sonntag waren wir unterwegs, um über einen längeren Anmarsch Pilze zu suchen. Eine einheimische Frau hatte uns mit einem Korb voller Rotkappen Appetit gemacht. Aber - wie viele Pilzsammler - sie bewahrte das Geheimnis der Fundstelle. Doch auch wir wurden fündig und genossen die Rotkappen- und Steinpilzscheiben wie Schnitzel.
Als wir am 1.11.1945 die Sowchose verließen, waren auch die "Einheimischen" mit ihrem weiteren Schicksal im Unklaren. Ich weiß nicht, was aus ihnen geworden ist. Da der Winter vor der Tür stand, wollten wir nur rasch nach Königsberg zurück.
Doch, dass ich meine kleine Monika dort allein zurück lassen musste, war für mich am schwersten und verfolgte mich fast mein Leben lang.
Es bleibt mir ein Trost, liebe Familie Bork, dass der Friedhof in Schackenau mit meiner Monika zwar verwildert ist, aber als Natur erhalten blieb, wie Sie mir nach ihrem Besuch dort berichten konnten.
Als wir am 1. November von Schackenau fortgingen, brauchten wir für den Weg nach Georgenburg fast einen Tag. Wir hatten unsere Kinderwagen mit den wenigen restlichen Habseligkeiten gepackt. Wir waren drei Frauen; eine 63-jährige, eine 43-jährige mit zwei Kindern von 2,5 und 4,5 Jahren und ich, 25 Jahre alt. Der kleine 4,5-jährige Junge musste zwangsläufig mit seinen kleinen Beinchen mit uns unter Geheul laufen. Ein deutscher Gestütsangestellter, der wegen der Pferde nicht geflüchtet war, sah unser Elend und brachte uns für eine Nacht in einem kleinen Zimmer über dem Pferdestall unter. Am nächsten Tag kamen wir in Insterburg am Bahnhof an. Zwischen den Gleisen hatten sich die Armisten, aber auch Zivilisten die erbeuteten Güter aufgehäuft und bewachten sie wechselseitig mit Argwohn, obwohl das Wetter viele Sachen bereits unbrauchbar gemacht hatte. Feuer und Alkohol, Harmonikamusik vermittelten apokalyptische Züge. Es war fremdartig und abstoßend.
Als ich ohne mein Kind nach Königsberg zurückkam, fand ich meine Mutter und meine zwei Schwestern (8 und 12 Jahre alt) wieder. Wir hätten Königsberg nicht überlebt, wenn wir nicht kurz vor unserem Hungertod mit Glück nach Litauen gekommen wären und dort von Hof zu Hof bettelnd Essen erhielten und in Scheunen übernachten durften.
Später, als ich mich etwas stabilisiert hatte, arbeitete ich in der Landwirtschaft. Im September 1948 wurde in Gumbinnen ein Transport zusammengestellt, mit dem wir über Königsberg nach 8-tägiger Fahrt (ohne Verpflegung) in Sachsen ankamen. Noch im Dezember 1948 sind wir aus der Sowjetzone über die grüne Grenze nach Stuttgart geflohen. Mein Mann war bei der Marine. Wir hatten uns 1939 in Königsberg kennengelernt und 1941 geheiratet. Er war 1946 aus englischer Gefangenschaft entlassen worden und lebte seitdem bei seinen Eltern in Stuttgart. Bis 1948 hatten wir keine Kenntnis vom Schicksal des Anderen.
Erst als unser Sohn 1957 geboren wurde, verminderten sich meine nächtlichen Alpträume etwas.
Liebe Frau und lieber Herr Bork, mit der Übersendung der Heimaterde 1993 haben sie mir besonders geholfen, das weitere Leben positiv zu sehen und meine Trauer um unsere Tochter zu vermindern, denn am 11. März wurde unser erstes Enkelkind Adrian von unserem Sohn Ulrich und seiner Frau Christine geboren.
Für mich hat sich nun der Kreis des Lebens geschlossen. Ihnen, liebe Familie Bork, danke ich auch für die Klarstellung, dass unsere Monika vermutlich auf den Privatfriedhof des Bauern Nolde bestattet wurde, der sich außerhalb von Schackenau befand.
Das Foto von dem Hügel in Schackenau steht bei mir im Regal, und immer denke ich mit großer Dankbarkeit an unseren brieflichen Gedankenaustausch, der mir ermöglichte, die Trauer über den Verlust von Monika nicht zu vergessen, aber doch zu überwinden."
Zusammenfassung der Briefe von Charlotte Beck durch Dr. Dieter Kuprat, August 2013 (mit freundlicher Genehmigung von Charlotte Beck)
Epilog
Erstmals verzichtet unsere verdienstvolle Organisatorin Traute Steidl (Berlin-Zeuthen) 2018 auf die Vorbereitung eines Treffens der ehemaligen Bewohner und ihrer Angehörigen aus Blüchersdorf, Schackenau und Horstenau aus dem Landkreis Insterburg.
Seit 1992 fanden diese Treffen jährlich an vielen Orten Deutschlands statt und umfassten auch gemeinsame Reisen in das Insterburger Gebiet, wo vor allem Traute Steidl, Egon Heigel, Horst und Traute Lemke und Willi Zülchert uns sehr anschaulich über unsere Geburtsorte berichteten und mit Bildern und schriftlichen Erinnerungen dafür sorgten, dass wir über die Jahre gegen das Vergessen im Internet die entsprechenden Seiten gestalten konnten.
In über 25 Jahren führten Gespräche, Briefwechsel und persönliche Kontakte zu einer besonderen Vertrautheit, die die besondere Atmosphäre der Treffen prägte. Es war von Beginn an der Umsicht von Traute Steidl zu danken, dass im Kontakt das vertrauliche "Du" galt, revanchistisches Verhalten nicht geduldet wurde und die Herkunft - ob Insthaus oder Gutsbesitzer - keine Rolle spielte.
So bewahrten wir unsere Erinnerungen an unsere Vorfahren und eigenen Erlebnisse vor dem Vergessen. Natürlich schmerzen der Verlust unserer Heimatdörfer und viele bittere Erlebnisse der Flucht, aber wir wünschen der Region endlich einen moralischen und wirtschaftlichen Erfolg und bleiben uns der eigenen Schuld bewusst.
Diese Treffen sind nun auch Erinnerung. Danke an die Schwestern Marieta und Petra Waldszus, die die Vergangenheit des Ortes Schackenau erforscht, bearbeitet und auf dieser Seite für die Nachkommen erhalten haben.
Dr. Dieter Kuprat, Traute Steidl, Marieta Waldszus und viele andere ehemalige Bewohner*innen und deren Nachfahren