Landkreis Neisse/Fluchtberichte

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  • Vorbemerkung: Rechtschreibung und Formulierungen sind so belassen worden, wie sie in den Berichten stehen.

Herbert Melcher: Flucht und Vertreibung aus Giersdorf und umliegenden Dörfern

Die erste Austreibung aus Giersdorf

Sie vertrieb die Deutschen aus ihren Häusern, damit diese von den Polen in Besitz genommen werden konnten

Ein Holzkreuz am Straßenrand „…Ein großes Holzkreuz, als Symbol des Todes und des Gedenkens, steht auch an der Böschung der ehemaligen Reichsstraße 115 in Schlesien, Strecke Neisse-Ziegenhals unweit der Ortschaft Preiland, heute Przelek. An dieser Stelle geschah am 29. Juni 1945 ein grausames Minenunglück.

Am Vortag, dem 28. Juni 1945 führte die polnische Miliz die erste Austreibung durch. Betroffen waren die Dörfer Giersdorf, Borkendorf und Groß- Kunzendorf. Zwei Stunden nach der Bekanntmachung mussten alle Giersdorfer zur Registrierung beim Gasthaus Jahn sein. Pfarrer Kolbe, den man vom Bett seiner todkranken Mutter weggezerrt hatte flehte, bei seiner Mutter bleiben zu dürfen. Ein Milizer trat ihn so fest in den Hintern, dass er hinstürzte. Der Pfarrer sagte „Gott vergelts."

Als die Borkendorfer und Groß- Kunzendorfer in Giersdorf ankamen, setzten sich ca. 2000 Menschen über den Ziegenhal-ser Berg Richtung Osten in Bewegung. Sie hatten Angst, dass die Reise nach Rußland geht. In Ziegenhals war die Bielebrücke gesprengt und alle mussten durch das knietiefe Wasser gehen.Viele Handwagen blieben vor dem Fluß stehen. Hinter der Stadt ging es auf der Reich-straße nach Westen, über Deutsch-Wette Richtung Neisse weiter. Das erste Nachtlager war eine nasskalte Wiese vor Alt-Wette.

Am nächsten Morgen waren alle durchgefroren und es ging ohne Frühstück bis zu der Stelle, wo heute noch das Kreuz steht. Der Milizer, der am Vortag den Pfarrer Kolbe getreten hatte, setzte sich auf einen Straßenstein, um sich eine Zigarette zu drehen. Als er damit fertig war, sprang er vom Stein herunter auf eine Mine. Nach der Detonation lag er tot an der Böschung, beide Beine abgesprengt- „Gott vergelts".

Ein Pferdewagen, auf dem alte Leute und Kinder saßen, wurde zerrissen. 24 Personen vom Treck sind getötet worden. Aus Giersdorf starben 6 Erwachsene und 3 Kinder. Schwerverletzt wurden 5 Erwachsene und 2 Kinder, die man auf Langer Richard's Milchwagen ins Neisser Krankenhaus gefahren hat.

Nachdem die verstörten Menschen Neisse erreichten, kamen Frauen mit Kleinkindern in eine Reithalle in der Friedrichstadt. Doch die meisten mussten im Freien oder Katakomben kampieren, ohne Verpflegung. In Kellern der Umgebung lagen Kartoffeln, doch darauf haben Leichen gelegen. Viele erkrankten, hauptsächlich Kinder. Mein kleiner Bruder, neun Jahre alt, hat auch Kartoffeln geholt, aber zum Glück keine vergifteten.

Etwa 10 Tage dauerte das Martyrium der ersten Austreibung im Neisser Lager, bis die Häuser und Höfe der Dörfer von den polnischen Umsiedlern besetzt waren. *)

Später haben meine Geschwister von den insgesamt drei schrecklichen Austreibungen berichtet. Die jüngeren Schwestern, fünf und zwei Jahre alt, haben danach viele Jahre gebraucht, bis sie es seelisch verarbeitet hatten

Immer wenn ich dieses Holzkreuz erblicke, sehe ich meine kränkelnde Mutter mit den sechs Kindern vor mir, die inmitten dieser Trecks der Entrechteten und Gequälten, gelitten haben. Keiner konnte ihnen beistehen. Mein Vater war bei Bad Kreuznach in amerikanischer Gefangenschaft, mein Bruder in Rußland und ich war in Gefangenschaft im englischen Waldlager bei Eutin.“ Kreuz des Friedens, bewahre uns vor weiteren Kriegen!

Nach der 1. Austreibung hat der Russe das Neisser Lager aufgelöst und die Deutschen wieder in ihre Dörfer zurückgeschickt. Ihre Häuser und Landwirtschaften wurden in der Zwischenzeit vollständig und endgültig von den polnischen Umsiedlern besetzt. In ihre Häuser sind die Deutschen von den polnischen Umsiedlern nicht mehr gelassen worden. Man hat sie einfach weggejagt mit den Worten: „Alles meine, alles meine.“ Manche Bauern und Landwirte konnten auf ihren Höfen als Knechte ohne Lohn arbeiten, weil viele Polen von der Landwirtschaft keine Ahnung hatten.

Die zweite und dritte Austreibung aus Giersdorf

Man wollte die Deutschen endlich los werden. Die 2. große Austreibung am 23. Januar 1946 begann nach Mitternacht. Die Milizer schlugen mit den Gewehrkolben gegen die Haustüren, stürmten in die Wohnungen und brüllten: „Das Haus sofort räumen und zum Jahn-Gasthaus kommen." Meine Mutter ist von unserem Polen rechtzeitig gewarnt worden. Sie hatte mit meiner 19 jährigen Schwester Elfriede die 5 jüngeren Geschwister reisefertig gemacht. Alle hatten mehrfach warme Bekleidung an, denn es herrschte eine klirrende Kälte von über 20 Grad. Auf dem Dorfplatz standen frierend die Leute, die im überfüllten Gasthaus keinen Platz fanden.

Bei Tagesanbruch trieb man die Menschen trotz hohem Schnee zu Fuß in Richtung Bischofswalde. Es waren meist Frauen mit Kindern und alte Leute. Gehbehinderte und Kranke brachten sie auf Pferdewagen weg, damit sie auch diese los wurden. 16 Männer, die ihren Frauen hätten beistehen können, sind schon vor der 1. Austreibung verhaftet worden. Von diesen wurden 3 ermordet, 10 zu Tode gequält und 3 im Jahr 1948 schwerkrank entlassen.

Vor Bischofswalde ging es rechts weiter über Lentsch, Markersdorf, Alt-Wette zum Bahnhof Deutsch-Wette - insgesamt ca. 12 Kilometer. Hierher brachte man etwa 5000 Bewohner der Dörfer Giersdorf, Groß Kunzendorf, Borkenhof, Bischofs-walde, Lentsch, Markersdorf, Alt-Wette, Neu-Walde, Ludwigsdorf und Oppersdorf. Bevor die Verladung begann, wurden sie von Zivilpolen mit Billigung der Miliz beraubt und geplündert. Selbst getragene Sachen wurden vom Leibe gerissen, Kinderwagen und Taschen weggenommen. Eine Mutter hatte sämtliche Wäsche und Windeln des Kleinkindes in einer Tasche. Sie konnte dem durchnässten Mädchen keine trockenen Sachen anziehen. Aus Verzweifelung weinte sie, da halfen andere Mütter aus. Anschließend wurden sie zu je 80 und mehr Personen in Viehwaggons gepfercht. In Neisse wurden noch Wagen angehängt, dann fuhr der Zug mit 63 Waggons und vielen Unterbrechungen bis nach Linderode bei Forst. Weil sie die nahe Grenze zum russischen Sektor nicht passieren durften, blieben sie auf einem Abstellgleis ohne Lok stehen.

Im Elendszug gab es keine Toiletten, keine Waschgelegenheit und es gab keine Verpflegung. Die Erwachsenen und größeren Kinder gingen auf eine große, verschneite Wiese, wo die Häufchen gleich gefroren. Für die kleinen Kinder hatten manche Eimer, Nachtöpfe, oder andere Gefäße bei sich. Eine Wasserpumpe stand am Abstellgleis, oftmals war sie aber eingefroren. Durch Betteleien in der Umgebung haben sich viele verpflegt. Ab und zu gingen Polen am Zug entlang und boten Essbares zum Kauf an.

Fingerdick war der Raureif an den Innenwänden der Waggons. Die Kälte und der Hunger schwächte alle sehr. Zuerst starben alte Leute, dann Säuglinge und Kleinkinder. Die Leichen legte man neben die Gleise. Als es immer mehr wurden, fuhr man die Toten zum Massengrab auf einem Dorffriedhof. Das Elend in den überfüllten Viehwagen wurde täglich größer, Erkältungen, Erfrierungen, Rheuma und die Ruhr brachen aus. Dazu kamen in der Enge noch die Kopf- und Kleiderläuse, die man sich gegenseitig absuchte.

Der kranke Hoheisel Julius lag eines Morgens tot neben meiner 8-jährigen Schwester Helene. Sie erzählte mir später von ihrem Schreck, und dass sie sich danach besser hinlegen konnte. - Viele konnten nur im Sitzen schlafen. Die Tochter Ilse der Familie Metzner Rudolf ist in dieser Zeit geboren worden. Man brachte Frau Metzner in ein bewohntes Haus, wo die Tochter zur Welt kam. Sie hat trotz der schlechten Bedingungen überlebt.

Nach 12 Tagen, am 07. Februar, ging der Transport weiter, aber nicht nach Westen. Das hatten die Alliierten trotz langer Verhandlungen nicht zugelassen.

Am 12. Februar kamen sie wieder in Neisse an. Unterwegs wurden bei jedem Halt die Toten in den Schnee neben die Gleise gelegt. Bei Kamenz blieb auch das Ehepaar Hermann und Pauline Ditsche aus Giersdorf im Schnee liegen. Die Söhne konnten später nie erfahren, wo sie begraben wurden.

Insgesamt soll es bei der 2. Austreibung ca. 250 Tote gegeben haben. Von Neisse aus mussten die geschwächten Menschen im hohen Schnee und der Kälte zu Fuß in ihre Dörfer gehen.

Die 3. endgültige Austreibung

Sie erfolgte am 10. Juni 1946, nachts um 3 Uhr. Im Morgengrauen gingen die Menschen wie zuvor zu Fuß die 18 Kilometer über Lentsch, Markersdorf, Preiland nach Neisse. Ankunft 14 Uhr auf einer Wiese mit kleiner Halle. Diesmal waren die Polen etwas menschlicher. Sie stellten mehr Fuhrwerke zum Transport kranker und geschwächter Leute. Nach einer Nacht im Freien, in der ein starker Gewitterregen alle total durchnässte, wurden sie am 11. Juni wieder in Vieh-waggons ohne Sanitäranlagen verladen. Vorher wurden sie registriert und einer gründlichen Leibesvisitation unterzogen

Dann, - Gott sei Dank - fuhr um 24 Uhr der Zug ab in den Westen.

Am 13. Juni erreichten sie Kohlfurt vor der Sowjetischen Zone zur Entlausung, am 14 Juni zur Registrierung in Ülzen und am 16 Juni 1946 waren sie laut Anmeldeausweis in der Stadt Wunstorf – Ende der Odyssee und endlich in der neuen Heimat.

Ein Transport ging nach Ostfriesland, einer nach Wunstorf in den Raum Hannover und einer in den Vorharz, Raum Duderstadt.

Von 1945 bis 1948 starben in Giersdorf auf der Flucht, nach Verschleppungen und bei den Austreibungen 84 Zivilpersonen durch Erschießungen und Misshandlungen, sowie an Hungertyphus und Entkräftung. Dies geschah alles nach Beendigung jeglicher Kriegsgeschehen, also in sogenannter Friedenszeit.

Diese Schilderungen sollen die Missstände jener Zeit und die Leiden der Dorfgemeinschaften vor 65 Jahren aufzeigen. Es ist zu bedauern, dass im Krieg und in der Nachkriegszeit von beiden Staaten viele Untaten begangen wurden. Aber wir müssen beiden Völkern Dank sagen, dass kein bleibender, gegenseitiger Hass entstanden ist. Ein immerwährender Friede soll uns in der „Europäischen Gemeinschaft" Glück, Lebensfreude und beidseitige Achtung erhalten.


Ich, Herbert Melcher, war in der unseligen Zeit nicht in Giersdorf, deshalb bestehen meine Aufzeichnungen aus Schilderungen meiner Familie, Berichte der Familie Raczek und Frau Gisela Hannibal, geb. Rieger, von Frau Liebe, geb. Heinold und vielen anderen Personen aus Giersdorf. Überörtlich von Dr. Manfred Schubert, sowie vom ehem. Mühlenbesitzer Rinke aus Bischofswalde.

Quelle: Herbert Melcher (1928-2019), der Bericht erschien im Neisser Heimatblatt, April 2010

Fluchtwege der Familie Josef Rinke aus Bischofswalde

Vorbemerkung: Josef Rinke (1888 - 1969 ) war Müllermeister in Bischofswalde. 1945 waren mit ihm auf der Flucht seine Ehefrau Klara, geb. Prießnitz, die Kinder Christa (16 jährig) und Felicitas (13 jährig). Sohn Joachim (18 jährig), von dem die folgenden Aufzeichnungen vom 19.03.1945 - 23.05.1945 stammen, kam in ein russisches Lager.

1945 Ein neues Jahr nimmt seinen Anfang, was wird es uns bringen? Den Sieg oder Untergang! Ich bin bei flotter Musik gut ins Neue Jahr gekommen. Begonnen hat es gut, wie wird es ausklingen?

06.01. Aus Zeitung und Radio entnehmen wir, dass der Russe zwischen Warschau und Przemgsl zu Angriff angetreten ist und seine Panzer an verschiedenen Stellen weit durchgebrochen sind.

08.01.Russische Panzerspitzen sind in Czenstochau eingedrungen. Der Volkssturm wird den anstürmenden Massen entgegen geworfen. Die in monatelanger Arbeit hergestellten Verteidigungsstellungen sind von den Russen überrannt.

15.01. Der Russe steht an der schlesischen Grenze. Wir fragen uns alle: ist es eine Kriegslist oder ist es das Ende?

18.01. Ich haue von Jablunkau ab, da ich sonst wenig Aussicht habe, nach Hause zu kommen. Alle Züge sind mit Flüchtlingen aus Ost-Oberschlesien überfüllt. Es müssen Sonderzüge eingesetzt werden. In den Zügen ist es kalt und draußen tobt ein eisiger Schneesturm. Es ist so grimmig kalt, dass schon kleine Kinder in den Armen der Mütter erfroren sind. Das Elend ist unbeschreiblich, Kinder suchen ihre Eltern, Eltern wiederum ihre Kinder.

19.01. Früh um zwei Uhr treffe ich in Deutsch-Wette ein. Da der Wartesaal voll ist, entschließe ich mich, die acht Kilometer zu laufen, trotz des Schneesturms. Um vier Uhr bin ich glücklich daheim angelangt und alle sind froh, dass ich da bin. Den ganzen Tag über verkehren keine Züge, da alles verweht ist. Also war es gut, dass ich gelaufen bin. Christa ist schon einen Tag vorher aus Ratibor eingetroffen.

25.01. Irmgard und Hanna aus Ratibor treffen ein, sie wollen weiter nach Wien. Der Russe steht an der Oder. Endlich ist der Widerstand entgegengesetzt worden.

28.01. Ich fahre Irmgard und Hanna nach Ziegenhals. Sie wollen unbedingt nach Wien. Am Bahnhof treffe ich Volkssturmmänner aus Bischofswalde, Borkendorf und Steinberg. Sie waren zwischen Kattowitz und Bielitz eingesetzt und hatten große Verluste gehabt. Herr Hanel bringt die Nachricht, dass Paul Böhm gefallen ist. Ich nehme sie im Schlitten mit, worüber sie sehr froh sind, denn wochenlang haben sie weder Schlaf noch Ruhe gehabt.

30.01. Um ½ 11 Uhr sprach der Führer aus dem Hauptquartier. Leider konnten wir die Rede nicht hören, da kein Strom da war. Aber am nächsten Tag konnten wir sie in der Zeitung lesen. Er macht uns wieder Mut und Hoffnung!

03.02. Heute Morgen begann der Russe einen Angriff aus dem Brückenkopf Brieg.

04.02. Der Russe hat bei Brieg seinen Brückenkopf in südlicher Richtung erweitert.

05.02. Grottkau ist überraschend in russische Hand gefallen. Die Bevölkerung hatte keine Zeit zur Flucht.

06.02. Der Tross einer Panzerabwehr Abteilung, die vorher in Bösdorf lagen, nimmt in unserem Dorf Quartier. Sie bringen die Nachricht mit, dass der Iwan mit seinen Panzern kurz vor Bösdorf steht. Die Tannenfelder (Verwandtschaft: Milsch) sind vom Russen überrollt.

07.02. Panzerjäger, Pioniere und Infanterie, die in den Neisser Kasernen zur Ausbildung sind, werden zum Gegeneinsatz eingesetzt.

08.02. Heute bekommen wir Einquartierung: drei Pioniere. Sie waren zuletzt in Rauden eingesetzt. Sie erzählten auch viel über die tapferen Hitlerjungen aus dem Industriegebiet. Diese 14 -16 Jahre alten Jungs werfen sich den anstürmenden Panzern mit Panzerfäusten entgegen, um sie dann aus nächster Nähe zu erledigen. Heute ist das erste mal Artilleriefeuer zu hören.

09.02. Die Pioniere kommen zum Einsatz. Wir erfahren, dass der Russe bis Grottkau zurückgeworfen wurde . Aus den Ortschaften wo der Iwan sechs Tage gehaust hat, kommen schreckliche Nachrichten. Alle Frauen und Mädels wurden vergewaltigt. Männer und Mütter wurden gezwungen, dem bestialischem Treiben zuzuschauen. Wer sich diesen Schandtaten wiedersetzte, wurde zu Tode geprügelt oder erschossen.

10.02. Heute müssen Hans und neun weitere Jungs vom Jahrgang 1928 zum R.A.D. (Reichsarbeitsdienst) einrücken.

20.02. Das O.K.W. (Oberkommando der Wehrmacht) meldet: zwischen Bielitz, Schwarzwasser und nördlich Ratibor die Lage unverändert. Voller Abwehrerfolg bei Strehlen und Kant. Die Besatzung von Breslau verteidigt sich entschlossen. Heftige Abwehrkämpfe von Lauban bis Guben.

01.03. Ich war heute in Neisse. Am Nachmittag wurde die Stadt mit Bordwaffen beschossen. Die Bevölkerung wird aufgefordert, die Stadt zu verlassen. An den Stadteingängen sind Panzer-Sperren und Verteidigungsgräben gebaut. Auch in den Dörfern wird eifrig geschanzt.

11.03. Heute hören wir wieder Artilleriefeuer. Wir sind aber darüber nicht weiter aufgeregt. Abends feindliche Lufttätigkeit, Bordwaffenbeschuß in Richtung Neisse.

14.03. Den ganzen Tag über ist es ruhig, kein Schuss, kein Flieger stört die Ruhe vor dem Sturm. Ein Treck aus Groß-Briesen, die zuletzt in Nowak lagen ist angekommen. Sie haben zum Teil schon die wütenden Russen kennen gelernt. Von Ihnen will keiner mehr lebend in ihre Hände fallen.

15.03. Um vier Uhr setzt schlagartig Artilleriefeuer ein. Wer greift an? Wir hoffen, dass es unsere sind. Die Schlacht hat eine Ausdehnung von Grottkau bis Krappitz angenommen. Heftige Luft-Kämpfe und Tiefangriffe konnte ich vom Steinberg aus beobachten. Der Russe versucht das Staubecken zu treffen. Neisse und die umliegenden Dörfer sind bombardiert worden.

16.03. Heute hören wir das Artilleriefeuer besser, da die Geschützstellungen zurückverlegt worden sind. Früh kamen die Tannefelder und Bösdorfer an. (Milsch und Jahnel) Sie sind in der Nacht gefahren wegen den Tieffliegern. Der russische Angriff ist im Abwehrfeuer unserer Waffen zusammen gebrochen. Deutsche Gegenmaßnahmen sind im Gange. Am Abend sehen wir Neisse brennen und in Richtung Front hin und wieder Leuchtkugeln und Leuchtspürgeschosse. Neisse wird von Zivilisten vollständig geräumt, auch die Ortschaften vor Neisse.

17.03. Der Russe drückt von zwei Seiten auf Neisse. Er steht kurz vor der Stadt. Auch heute kommen die Flüchtlinge aus Neisse-Neuland und den umliegenden Ortschaften. Wir sind in Aufregung: wird man den Angriff aufhalten? Abends sehe ich vom Kirchberg aus das brennende Neisse und ein Feuerschein in südlicher Richtung, das kann nur Neustadt sein! Sollte derRusse wirklich schon so weit vorgedrungen sein? Daheim bekomme ich die Ahnung bestätigt, dass der Russe vor Neustadt steht. Wir haben eine unruhige Nacht. Das Artilleriefeuer ist so stark, dass die Fenster klirren.

18.03. Um drei Uhr werden wir schon wieder rausgeworfen aus dem Bett. Eben kam durch Telefonanruf der Räumungsbefehl. Der Bürgermeister hat es aber nicht so eilig, denn jetzt in der Dunkelheit, dem Regen und der mit Flüchtlingen aus den Nachbarorten vollgestopften Straßen würde es nur eine große Verwirrung geben. Also wird noch gewartet. Früh wurden gleich zwei Schweine geschlachtet, Brot gebacken und für die plötzliche Räumung alles vorbereitet. Die im Dorf einquartierten Flüchtlinge müssen weiter, damit bei plötzlichem Aufbruch kein großes Durcheinander geschieht. Am Nachmittag wurden Unmassen von Flugblättern der Russen abgeworfen. Auch sind in der Nähe Bomben gefallen. Das Telefon ist den ganzen Tag nicht zur Ruhe gekommen. Stündlich wurde Lagebericht durchgegeben.

19.03. Heute ist es etwas ruhiger, obwohl der Russe schon vor Ziegenhals und Ottmachau steht.

19. März 1945: Aufbruch zur Flucht

Mittag kommt der Kreisleiter. Er ist immer noch zuversichtlich! Um ½2 Uhr kommt plötzlich der Befehl, dass bis um fünf Uhr das Dorf geräumt sein muss. Wir saßen grade beim Mittagessen als uns die Nachricht ereilte. Mit dem Appetit war es vorbei. Keiner brachte mehr einen Bissen hinunter. Nun heißt es den Wagen mit den notwendigsten Sachen zu beladen. Auch wurden uns Fam. Mehlich und Fam. Ambros zugeteilt. Also waren für 15 Personen Bekleidung, Verpflegung, für die Pferde Futter und verschiedene Gebrauchsgegenstände aufgeladen. Wie uns zumute war, kann nur der empfinden, der weiß was es heißt, Haus und Hof zu verlassen. Wer weiß auf wie lange? In den Ställen steht das Vieh, in der Mühle liegt Getreide und Mehl! Was wird aus dem alles werden? Um siebzehn Uhr steht der Wagen abfahrbereit auf der Straße. Er ist bis obenhin beladen. Hinten haben wir noch die Kutsche angehängt, auch die ist voll. Die Pferde Fritz und Lotte werden im Gebirge schwer weiter kommen. Auf der Landstraße von der Moorebrücke bis zum Vorplatz beim Schroth Bäcker sammelten sich die Fuhrwerke. Der Treck nahm seinen Lauf! Es geht los in Richtung Rothwasseer. Um 22 Uhr treffen wir dort ein und übernachten das erste Mal auf der Straße. Es wurden 15 Km zurückgelegt.

20.03. Noch vor Tagesanbruch, um vier Uhr, geht es weiter über Friedeberg , Schwarzwasser nach Setzdorf. In Schwarzwasser gibt es einen längeren Aufenthalt. Eine Eisenbahnschranke ist drei Stunden geschlossen. Während der Zeit greifen russische Bomber Weidenau an. Obwohl die Straße vollgestopft mit Trecks ist, lassen sie uns ungeschoren .In Setzdorf angekommen geht die Suche nach Quartier für uns selbst und die Pferde los. Wir finden Quartier in einer Tischlerei: du schlafen dort in der Werkstatt auf den Hobel-Spänen. Auch für die Pferde war nichts Besonderes zu finden, also wurden sie im Hof derTischlerei angebunden. Ich selbst bleibe beim Wagen, der im Dorf beim Kalkwerk steht. Gegen 23°° Uhr kam Vater zurück. Er war am Morgen mit Förster nach Hause gefahren. Daheim hat sich nicht viel verändert. O.T. hat Quartier bezogen, die bald eifrig plünderten. Auch sind noch Leute im Ort geblieben, sie wollen nicht raus!.

21.03. Mutter hat heute ein gutes Quartier für uns besorgt. Auch die Pferde können dort untergebracht werden - in der Scheune eines Lehrers. Wir kommen bei einem Häusler unter. Der Mann ist gelähmt, es sind sehr nette Leute. Vater ist heute früh wieder nach Hause gefahren. Er hat Michael mitgenommen. Sie wollen wieder mahlen. Gestern wurde der Deutsch-Wetter Treck von Flugzeugen angegriffen. Die Bomben gingen, Gott sei Dank, daneben. Auch hier ist das Artilleriefeuer zu hören.

22.03. Mit Mikolei war ich hier in der Mühle Mehl einkaufen. Unser Bestand soll solange wie möglich nicht angetastet werden. In Setzdorf wird tüchtig geschanzt. Es wird auch erzählt, dass der Iwan bei Neisse und Ziegenhals zurückgeworfen wurde.

23.03. Um 16 Uhr geht es weiter nach Nieder- Lindewiese, ein steiler Berg ist zu nehmen. Die Pferde haben mächtig zu ziehen und wir alle müssen tüchtig schieben, damit wir es schaffen. Oben angekommen geht es gleich wieder steil bergab. Jetzt müssen wir mit Knüppeln tüchtig bremsen. 20.15 Uhr treffen wir ein. Es gibt für alle Quartier. Die Pferde sind bei einem Bauern untergebracht. Die Wagen stehen bei der Schule, wo auch wir unterkommen. Ich kampiere auf dem Wagen. 10 Km zurückgelegt.

24.03. Heute haben wir Treckruhetag. Die Pferde brauchen unbedingt die Ruhe, damit sie mitfrischer Kraft über den Ramsauer Pass kommen. Nachmittag strolchen wir mit Hanno und Peter in der Gegend rum. Abends kommt Vater zurück. Er hat schon allerhand erlebt. Die Russen haben daheim Bomben abgeworfen. Eine fiel bei uns in den Garten, drei bei Seidels in den Hof, eine auf unsere An-und Ausfahrt, eine vor Nitsches Haus. Es gab 5 Tote und 26 Verletzte. Unter den Toten war Frau Glatzel.

25.03. Um 8 Uhr geht es los.! Hinter Ober-Lindewiese müssen wir vorspannen, das Gespann ist von Thust Groß- Kunzendorf. An den Stellen, wo keine Sonne hinkommt, liegt noch Schnee und Eis. Der Weg ist sehr schlammig. Es begegnet uns eine Nachschubkolonne deren Fahrer Ziwie (Kirgiesen, Mongolen) sind. Hinter Ramsau wird die Straße noch schlechter. Hinter Spornhau müssen wir abermals vorspannen, hier liegt sogar noch über 1 m Schnee. Nachdem das Schwerste hinter uns ist, fährt Vater vor, um Quartier zu machen. Vor Goldenstein treffen wir Juppe. Er liegt mit dem Feuerwehrwagen fest. Der Anhängerhat Achsenbruch. Wir schlafen im W:E.Lager. Die Pferde stehen in einem Schuppen. 15 Km.

26.03. Am Morgen packen wir den Wagen um. Nachmittag um 15°° Uhr fahren wir ab nach Hannsdorf. Die Pferde haben es heute leichter, denn es geht bergab. In Hannsdorf dürfen wir nicht bleiben, da hier Maul- und Klauensuche herrscht. Es geht also weiter. In Nikles bekommen wir endlich Unterkunft. Vater hat Quartier gemacht, wir treffen um 21.15 Uhr da ein. Mutter, Schwestern und Tante Mieze sind noch in Goldebstein geblieben. Wir schlafen auf Hof Nikles in der Küche. Die Pferde stehen in der Scheune. Wir haben heute 22 Km zurückgelegt.

27.03. Um 9 Uhr treffen unsere Leute aus Goldenstein ein. Unsere Quartierleute sind sehr freundlich. Wir können etwas Anständiges kochen. Vom alten Damenfahrrad montiere ich die Räder ab, den Rahmen werfe ich weg. Der Jagdhund von Onkel Emil wird hierbei einem Förster untergebracht, da er bald werfen wird.

28.03. 8 Uhr früh brechen wir wieder auf, es geht über Eisenberg, Olleschau nach Buschin. Es ist das erste tschechische Dorf, in das wir kommen. Die Leute verstehen uns schlecht und sind sehr zurück haltend. Wir haben kein Quartier. Aber die Pferde sind gut untergebracht. Von der Polizei werden wir auf Partisanen aufmerksam gemacht. Ich schlafe mit Miko bei den Pferden. Die Eltern schlafen auf dem Wagen. Die andern in einer Scheune. 13 Km zurückgelegt.

29.03. Bei Tagesgrauen, 4 Uhr, sind Vater und Luzia nach Hause gefahren, sie wollen mal sehen, was da los ist. Wir fahren um 9 Uhr von Buschin ab über Bagowitz, Schildberg nach Ober-Hermanitz. In Serpentinen geht es aufwärts, für die Pferde ist es schwer. In einer geschlossenen Molkerei haben wir Quartier, wo in zwei Räumen alle vom Treck untergebracht sind. Die Pferde stehen in einem Schuppen. 20 Km zurückgelegt.

30.03. Heute backen wir etwas für Ostern. Das Wetter ist nicht besonders, hoffentlich ist es an den Feiertagen besser!

31.03. Früh geht es wieder weiter, anfangs ist es sehr bergig. Das Wetter ist besser geworden. Nachmittags treffen wir in Thomigsdorf ein. Wir haben Quartier bei einer Frau Kletschka (200 Morgen). Die Frau ist sehr geizig und schlecht. Sie mutet Mutter und Tante Mieze zu, in der Kammer, wo auch der Weißrusse schläft, zu schlafen. Sie rücken natürlich aus und schlafen bei Frau Kneifel mit.

01.04. Heute ist Ostern, wir merken aber nichts davon. Wir halten uns den ganzen Tag in derzugigen Scheune auf. Mutter klagt über Halsschmerzen. Die Quartierfrau von Ursel schickt für Mutter Milch und Gebäck. Am Nachmittag greifen feindliche Flieger einen Lazarettzug mit Bomben und Bordwaffen an.

02.04. Heute, am Ostermontag, geht es weiter. Wir fahren um 12 Uhr ab, es geht über Abtsdorf, Bömisch- Lotschau bis Mährisch-Lotschau. Mutter ist an Halsentzündung erkrankt. Wir haben für sie aber eine gute Unterkunft gefunden. Pferde und Wagen und unsere anderen Leute sind bei einem Bauern untergebracht. Auch Onkel Paul und Onkel Josef haben hier Quartier. Die Leute sind sehr nett und freundlich. Sie stellen uns die Küche zum Schlafen zur Verfügung. Ich penne auf dem Wagen.

03.04. Um 10 Uhr sind wir wieder abgefahren und erreichen mittags Zwittau. Werden aber wieder zurückgeschickt nach Laubendorf. Auf der Fahrt dahin sind aber noch große Berge zu bewältigen. In Laubendorf angekommen werden wir weitergeschickt ins Protektorat. Es beginnt zu regnen. Der Grenzübertritt ist nichts besonderes. In Politschka sollen wir in den Skodawerken untergebracht werden. Man schickt uns aber vorher kreuz und quer durch die Stadt. Im Skodawerk werden wir in Baracken untergebracht. Mehlich und Ambros haben wir in Zwittau zurückgelassen. 25 km zurückgelegt.

04.04. Erst heute konnten die Pferde untergebracht werden. Sie haben die ganze Nacht im Regen gestanden. Mutter hat eitrige Mandelentzündung. Sie hat am Abend schon ein kleines ruhiges Zimmer bekommen. Der Arzt verschrieb ihr Medizin und riet ihr, ein paar Tage zurückzubleiben. Christa und Liesel M. waren nochmals in Zwittau, um noch Verschiedenes einzukaufen. Abends war ich im Kino.

05.04. Wir fahren um 7 Uhr los. Mutter bleibt nicht zurück. Wir haben ihr auf dem Wagen genügend Platz gemacht. Die Straße ist anfangs sehr gut, aber, später wird es wieder sehr bergig. Den Pferden ist es bald zu viel. Abends treffen wir in Hlinsko ein. Mutter wird bald ins Quartier gebracht in eine Schule. Dort kommt sie ins Krankenzimmer. Die Wagen sind auf einem Platz zusammen, aber die Pferde stehen in der Stadt verstreut. 25 km zurückgelegt.

06.04. Früh, als angespannt werden sollte, kommt die Nachricht, dass die Pferde von Böhm verschwunden sind. Sie werden gottlob im Park wiedergefunden. Scheinbar hat sie jemand losgebunden und fortgejagt. Um 12 Uhr geht es endlich weiter. Vorher ist noch Verpflegung empfangen worden. Seit dem 4.04. erhalten wir eine Tagesration von 300 gr. Brot und 100 gr. Wurst. Unser heutiges Tagesziel ist Kreuzberg. Dort kommen wir in der Pfarrei unter. Für die Pferde sind Ställe da, aber für uns ist sehr wenig Platz. Viele schlafen auf dem Heuboden, wo es kein Heu hat und sehr kalt ist. Da aber Scheunen sind, wo Stroh liegt, machen wir auf eigene Faust ein Lager auf, um darin zu schlafen. Es gibt mit dem Besitzer der Scheune riesigen Krach deswegen. Abends beginnt es zu regnen. 17 km zurückgelegt.

07.04. Um ½ 9 Uhr rücken wir in Richtung Deutsch-Brod ab. Beim Einspannen der Pferde in Kreuzberg schlug ein Pferd von Schroth den Paul Zimmer ins Gesicht. Es ging nochmal gut ab, kurze Besinnungslosigkeit und kleine Schrammen. In Deutsch-Brod kommen wir auf dem Fliegerhorst. (Mlassow Truppen) unter. Früh regnet es. Bei Ankunft im Horst erhalten alle warme Verpflegung. 20 km zurückgelegt.

08.04. Heute ist Treckruhetag. Mittag müssen die Wagen wegen Fliegergefahr aus Horst entfernt werden und bleiben den Tag über in einem Dorf stehen und kommen abends wieder zurück. Früh holen wir in der Stadt Verpflegung. Es ist die übliche Tagesration.

09.04. Wegen Verzögerung beim Verpflegungausteilen können wir erst um 9 Uhr losfahren. Es ist wieder sehr bergig, den Pferden zuliebe müsste mal acht Tage geruht werden. Um 14.30 Uhr treffen wir in Gumpolds ein. Quartier gibt es in einer Schule, aber die Pferde müssen im Freien stehen bleiben (Kinderlandverschickungslager). 20 km zurückgelegt.

10.04. Bei einem Schmied in er Stadt lasse ich die Lotte beschlagen. Sie hatte die letzten Tage zwei Eisen verloren. Onkel Paul bringt auch ein Pferd zum Beschlagen, die anderen fahren unterdessen weiter, wir kommen aber gut nach. In Krelowitz beziehen wir Quartier. Wir sind gut untergekommen. Bei einem Bauern schlafen wir in der Küche. 15 km zurückgelegt.

11.04. Obwohl auf dem Marschbefehl erst die Weiterfahrt am 12.04. vorgesehen war, müssen wir weiter. Die Polizei will uns nicht dabehalten, deshalb begleitet sie uns bei der Weiterfahrt.Um 16 Uhr treffen wir in Zetoras ein. Auf dem Hof , dem wir zugewiesen sind, ist ein behinderter Mann, ein bedauernswerter Mensch! Die Mädels haben Angst vor ihm, doch die Leute sind sehr freundlich. Die Pferde stehen im Stall. Miko, Michael und ich schlafen auf dem Hof. Mutter, Tante Mieze und Schwestern sind bei zwei Frauen untergebracht, die kein Wort Deutsch verstehen, uns aber nicht schlecht gesinnt sind. Luzia und Ursel schlafen im Gasthof, wo der größte Teil untergebracht ist. Abends höre ich beim Bauern Radio und schlafe seit Anfang der Flucht einmal sehr gut auf einem Sofa. 15 km zurückgelegt.

12.04. Heute ist der versprochene Ruhetag. Wir bessern am Wagen die Bremse aus. Zum Mittag und abends ladet uns die Quartierfrau zum Essen ein. Es gibt einen sehr fetten Schweinebraten.

13.04. Wir brechen um 9 Uhr auf. Ich muss aber erst noch ein Fahrrad reparieren. In Litschau heißt es plötzlich, wir wären am Endziel? Der Treck wird auf sieben Dörfer aufgeteilt. In Chejow biegen wir von der Hauptstraße ab und fahren mit sechs Gespannen (Milsch, Jahnel, J. Böhm, Pfeiffer jun. und Pfeiffer sen. und 60 Personen nach Wiltschgewes. Das letzte Stück Weg ist vierspännig kaum zu fahren (Schlamm) In Wiltschewes werden die Pferde und Wagen auf Höfe eingewiesen. Onkel Josefs und unsere Pferde kommen bei einem Wagner unter. Zum Schlafen wird uns ein Gasthaus angewiesen, wo wir kaum Platz haben. Verpflegt werden wir von den Bauern des Dorfes.

14.04. Heute ist mein Geburtstag, aber davon merke ich nicht viel. Am Vormittag wird uns allen ein neues Quartier zugewiesen. Es ist ein Hotel für Sommerfrischler. Das Haus liegt sehr schön, der Ort heißt St. Anna und liegt 2 Km von Witschewes. Wir haben im 2. Stock ein sehr schönes Zimmer. Hier können wir uns wenigstens häuslich einrichten. Tante Mieze und Christa haben im Erdgeschoß ein Zimmer. Ein Großteil der Leute ist in einem Saal untergebracht. Wir holen uns die notwendigsten Sachen heraus. Michael schläft jetzt auf dem Wagen.

15.04. Tante Mieze und Trudel richten eine Gemeinschaftsküche ein, auch Mutter hilft mit. Die anderen Frauen arbeiten bei dem Hotelbesitzer im Garten. Unseren Wagen fahren wir beim Wagner in die Scheune

16.04. Wir haben es wirklich sehr schön getroffen. Die anderen vom Treck kommen uns besuchen, es gefällt ihnen auch bei uns.

17.04. Onkel Josef wohnt noch beim Wagner, sie bekommen auch von uns die Verpflegung. Die Pferde müssen jetzt im Dorf mithelfen. Miko wird dafür gut verpflegt.

18.04. Die Frauen sind nicht sehr erbaut über den Besitzer, denn sie haben tüchtig gearbeitet,bekommen nichts dafür. Ich war heute mit dem Fahrrad die anderen besuchen. Auch sie haben es einigermaßen gut getroffen.

19.04. Heute ist unser Treckführer(R. Jahnel) nach Hause gefahren. Er will mal sehen, was da los ist und wie es Käte, der Tochter ergeht. Kaum ist er abgefahren, kommt der Befehl, dass wir weiter müssen. Herr Christoph muss nun den Treckführer ersetzen.

20.04. Schon heute kommt der Befehl, die Weiterreise am 21. anzutreten. Wir sind nicht sehr erbaut davon, alles muss wieder zur Weiterfahrt verpackt werden. In Sobislau soll der gesamte Treck wieder zusammen kommen. Es soll um 5 Uhr los gehen. Herr Pfeiffer will aber erst um 6 Uhr starten. Abends ist alles wieder aufgeladen und die Wagen stehen reisefertig. Imme, unser Dackel, ist heute plötzlich verschwunden. Alle weinen.

21.04. Wir stehen um 6 Uhr abfahrbereit. Herr Pfeiffer aber kommt erst um 8 Uhr angezottelt. In Mühlen hören wir, dass die anderen schon um 6 Uhr weg sind. Um 15 Uhr treffen wir in Sobislau ein. Hier sollen wir für vier Wochen Verpflegung empfangen und bekommen außerdem für vier Monate Bezugscheine. Da es zu spät geworden ist, bleiben wir da. Die Pferde stehen in einer Scheune, das Volk übernachtet in der Schule. 20 km zurückgelegt.

22.04. Um 7 Uhr empfangen wir die Verpflegung. Keiner will etwas aufladen, es droht, Verschiedenes stehen zu bleiben. Da ich die Aufsicht über das Aufladen habe, mache ich mächtig Krach. Anschließend empfangen wir noch Futter für die Pferde und so kommen wir erst um 10 Uhr zum Abfahren. Um 18,50 Uhr fahren wir in Moldautein über die Moldau. Wir übernachten in der Polizeikaserne. Pferde und Wagen stehen außerhalb der Kaserne in einer Scheune. Abends beginnt es zu regnen. 22 km zurückgelegt.

23.04. Heute ziehen wir auch mit den Pferden und Wagen in die Kaserne. Die Pferde werden in Finnenzelten untergebracht. Da in der Kaserne auch ein Pferdelazarett ist, tauscht Onkel Paul ein Russenpferd um, das krank ist. Wir lassen unseren Pferden die Eisen und Hufe nachsehen. In der vergangenen Nacht ist Mikolin mit Pfeiffers Kutscher abgehauen. Am Abend besorgen wir uns durch die Tschechen Pressheu.

24.04. Abfahrt um 8 Uhr. Die Polizei spannt uns über den ersten langen Berg (3 km) vor. Wir fahren Richtung Wodnian. Das Wetter ist dem April angepasst. In Wodnian müssen wir wegen eines Irrtums warten. Es war aber unser Glück, denn Tiefflieger griffen vor der Stadt einen Treck an. 10 tote Pferde, Menschen wurden nicht verletzt. In die Stadt haben sie nicht geschossen. Die Dörfer hinter der Stadt sind mit Wehrmacht belegt. Wir kommen in Nestanitz unter. Die Wehrmacht hat Platz gemacht. Wir haben ein Zimmer, ich selbst schlafe in der Scheune. 30 km zurückgelegt.

25.04. Früh um ½ 8 Uhr sind schon die ersten feindlichen Flieger da und beschießen mächtig einen Zug. Wir beschließen, nunmehr in der Nacht zu fahren. Am Nachmittag wird Verpflegung verteilt. Um 20 Uhr fahren wir ab, große Berge sind wieder zu nehmen. Um Mitternacht sind wir in Hracholusk.

26.04. Es ist wieder Wehrmacht, die Platz macht. Die Tschechen sind stur geworden. Wir schlafen in einer Scheune, ohne vorheriges Fragen des Besitzers sind wir einquartiert. Auch ist ein Gasthaus von der Wehrmacht geräumt worden, aber nur wenige kommen darin unter. Den Tag über ruhen wir aus und wollen am Abend wieder weiter. Am Nachmittag aber kommen Trecks zurück, die Grenze wäre gesperrt. Wir sind verzweifelt, denn unter den schlechtgesinnten Tschechen wollen wir nicht bleiben. Später erfahren wir, dass diese Trecks aus dem Protektorat sind und da auch bleiben müssen. Wir fahren heute Abend nicht weiter

27.04. Abends 20 Uhr geht es weiter. Es ist ein herrlicher Abend, in der Ferne steht ein Gewitter: ein romantisches Bild! Um 23 Uhr erreichen und überfahren wir die Protek-Toratsgrenze. Kurz darauf beginnt es zu regnen. Ein Pferd von Olbrich hat unterwegs Kreuzverschlag bekommen. Um Mitternacht rasten wir im Wald. Nach einer Stunde Rast geht es weiter. Hinter Prachatitz kommt ein sechs Kilometer langer Berg. Es geht zwar

28.04. langsam, aber ohne vorzuspannen. Morgens gegen 3°° Uhr treffen wir in Pfefferschlag ein. Der Ort ist schon mit einem Treck belegt. Es gibt Krach mit dem Bürgermeister und dem anderen Treckführer. Doch zum Schluss erreichen wir, dass der andere Treck Platz macht. Es dauert zwar bis 10 Uhr, aber wir kommen unter. Bis dahin haben unsere Leute in einem Gasthaus geschlafen. Der Wirt spendierte nach der durchregneten Nachteinen heißen Kaffee. Bei unserem Quartierwirt, einem früheren Müller, legen wir uns indie Scheune und schlafen bald fest ein. Heute geht es nicht mehr weiter, denn die Pferde brauchen nach den vergangenen Anstrengungen unbedingt Ruhe. Mit Quartieren wird es nun immer schwieriger, da die Dörfer schon mit Flüchtlingen belegt sind.

29.04. Es wird uns geraten von der Hauptstraße abzubiegen. Paul Zimmer, Hanno Mattern und ich fahren mit dem Fahrrad nach Sablat unser Glück zu versuchen. Die Leute sind dort sehr stur und behaupten, keinen Platz zu haben. Wir haben ja im Laufe der Zeit so etwas schon öfter erlebt und wollen einfach mit dem Treck anrollen. Als wir in Pfefferschlag ankommen, steht der Treck schon abfahrtsbereit. Hinter Pfefferschlag sagt der Treckführer, dass wir erst bei Tagesanbruch nach Sablat einrücken wollen. Also bleiben wir bei Bad-Grünschädel im Wald zum Übernachten. Damit wir nicht frieren brauchen, zünden wir ein Feuer an.

30.04. Gegen morgen gehen alle Männer zum Bürgermeister. Er ist aber sehr abweisend, er hat keinen Platz. Der Grund ist wohl auch die nahe Protektoratsgrenze. Es ist nichts zu machen und ziehen unverrichteter Dinge wieder ab. Den Tag über bleiben wir im Wald liegen und wollen am Abend Richtung Rohrbach weiter fahren. Um 10 Uhr sind wir in Oberhaid. Im Dorf ist ein großes Durcheinander, denn vor uns steht ein Treck, der nicht weiß, ob er weiterfahren soll oder hier bleibt. Endlich haben sie sich entschlossen und fahren weiter. Nun wollen wir sehen, wie es bei uns klappt. Den Bürgermeister müssen wir aus dem Bett holen.

01.05. Endlich, gegen ½ 2 Uhr haben wir Quartier in einem Gasthaus. Es ist aber sehr schlecht. Wir schlafen auf dem Fußboden unter den Tischen. Früh besorgen wir uns eine bessere Unterkunft und ziehen dahin um. Am Abend müssen wir aber weiter. Als wir ein Stück gefahren sind, fängt es stark an zu schneien. Der Traktor von Onkel Richard kommt nicht mehr weiter und bleibt im Wald stehen. Der Berg, der jetzt kommt, ist nur mit knapper Not zu bezwingen. In Christianberg können wir keinen Schritt mehr weiter, denn die Pferde sind vollkommen fertig. Es liegt über 10 cm nasser Schnee. Bei einem Bauern, der schon Flüchtlinge hat, kommen wir unter. Die Pferde stehen im Schuppen, wir schlafen, weil wir durchgefroren und nass sind und kein anderes Unterkommen ist, im Kuhstall.

02.05. Früh um 8 Uhr ist schon die Polizei da, die uns weiter schicken will. Diesmal sind wir stur,wollen nicht mehr. Erst wenn wir Garantie haben, dass Platz ist, wollen wir weiter. Da die Polizei bei uns nichts erreicht, versuchen sie es bei dem anderen Treck, wo sie mehr Glück haben. Sie ziehen weiter und für uns wird Platz. Der Bauer erlaubt uns, in der Küche, die die anderen Leute geräumt haben, einzuquartieren. Im Raum kommen wir und Onkel Pauls Familie unter. Da ein großer Schuppen vorhanden ist, fahren wir den Wagen unter Dach.

03.05. Fahre mit Zimmer Paul in die nächsten Ortschaften, um zu erkunden ob dort Platz für unseren Treck ist. Wir fahren 15 km und nirgend ist etwas zu finden. Überall liegen Trecks oder Wehrmacht. Also müssen wir in Christianberg bleiben. Die Amerikaner sind auch nicht mehr weit. Wir hören schon das Artilleriefeuer.

06.05. Die vergangenen Tage hat sich nichts Besonderes ereignet. Aber heute kommen Truppen von der Front zurück. Es gibt Verstopfungen und großes Durcheinander auf der Straße. Um besser vorwärts zu kommen, lassen die Soldaten viel zurück. Eine Einheit hat uns den LKW mit Lebensmitteln da gelassen, die wir unter den Leuten unseres Trecks austeilen. Es bekommt jeder einen schönen Teil Marschverpflegung. Ich habe ein halbes Fass Schnaps auf der Straße organisiert.

07.05. Wir fahren mit zwei Wagen nach Krummau, um Futter für die Pferde zu holen. Als wir in Krummau ankommen, erfahren wir, dass die Stadt zur Übergabe an den Ami vorbereitet wird. Wir machen daher so schnell wie möglich wieder wegzukommen. Am Stadtausgang laden wir für einen Schuster fünf Ztr. Leder auf. Eine Platte vergessen wir beim Abladen. Einen Fallschirm und etwas Werkzeug haben wir uns unterwegs noch ergattert. Auf den Straßen und Rändern liegt ungeheuer viel Kriegsmaterial.

08.05. Es tauchen Gerüchte über Waffenstillstand auf. Leider kann man nichts Genaues erfahren. (Anmerkung: hier muss ich, die Schwester Felicitas, mein persönliches Gedächtnis preis geben: Ich stand am Straßenrand und habe mit anderen den Vorbeizug der Amis gesehen. Sie zogen durch Christianberg. Hat das Jochen nicht mitbekommen? ) Gegen Abend gehe ich mit unserem Bauern zu einer Frau, um Radio zu hören. Hier hören wir von Waffenstillstandsverhandlungen mit dem Westmächten. Was ist mit dem Osten? Geht es da weiter?

09.05. Es brannte! Durch Kinderhand verursacht, ein ganzer Bauernhof ab. Natürlich war alles mit Stroh gedeckt. Pfeiffers Wagen, der dort untergestellt war, ist vollständig mit verbrannt. Ich bringe die Motorspritze in Gang. Es versteht keiner die Handhabung von den hiesigen Feuerwehrleitern richtig, denn sie ist neu. So eine hatten sie noch nicht, ich kenne die Bedienung von Daheim.

10.05. Heute Nacht ist Herr Rogosch, Onkel von Milsch gestorben. Er war 80 Jahre, ist aber unterwegs sehr viel gelaufen. Er hat einen Sohn in Amerika, der Geistlicher ist. Herr Schmehl ist auch heute verstorben an Alkoholvergiftung. Amerikaner sind zur Besetzung des Dorfes gekommen.

11.05. Michael war als gefangener Russe bei uns in der Mühle beschäftigt. Er durfte von Zuhause aus mit uns ziehen. Heute musste er uns verlassen. Der Abschied wurde ihm schwer. Er verspricht uns, von sich etwas hören zu lassen. Er will auch noch einmal zu seine gute Chef!

12.05. Tante Liesel bereitet alles zur Beerdigung vor. Sie bäckt sogar Pfannkuchen (aber richtig in Fett.)

13.05. Heute wurde Herr Rogosch und Herr Schmehl beerdigt. Träger waren: Herr Modlich, Pietsch, Jahnel J. Zimmer H. Nitsche, Hillmann, Dietrich und Fritsch Johann. Die Beerdigung war so ganz anders als bei uns. Die Toten haben einen schönen Platz auf dem Friedhof am Waldrand.

14.05. Frau Hans, die Hausfrau, bäckt für uns Brot. Es ist sehr gut gelungen. Es kommen viele Trecks vorbei, die nach Hause wollen.

15.05. Zimmer Paul und Hanno Mattern sind nach Krummau, um Futter für die Pferde einzukaufen. Onkel Josef, Herr Pietsch und ich sollen zur Treckbesprechung kommen. Kurz vor der Abfahrt kommt Modlich Paul von Oberhaid mit dem Bescheid, dass wir um 14 Uhr in Oberhaid mit den Wagen stehen sollen. Also nur vier Stunden Zeit! Rasch muss alles aufgeladen werden. Gegen Abend sind wir in Oberhaid. Da es zu spät zum Weiterfahren ist, bleiben wir hier über Nacht . Da der Krieg nun aus ist, sollen wir wieder nach Hause.

16.05. Frühzeitig brechen wir auf. Hinter Oberhaid werden die Trecks zusammen gestellt. Zwölf Trecks bilden einen Haupttreck. Unsere Trecknummer ist 6/IV. Ein gewisser Herr Scholz aus Nieder-Hermsdorf ist Haupttreckführer. Amerikaner begleiten uns und weisen den Weg. In Pfefferschlag holen wir uns bei den Bauern, wo wir schon übernachtet haben, Brot für Mehl. Die Frau brachte es gerade aus dem Ofen. Sie gab es uns gern. Hinter Prachatitz bleiben wir auf der Straße stehen und übernachten da.

17.05. Gegen 8 Uhr geht es weiter in Richtung Wodnian. Unterwegs spannt der Ami mit seinem Jeep mehrmals vor. Früh bei einem Stopp fahren wir mit dem Wagen bis ins nächste Dorf, um Fritz beschlagen zu lassen. Zum Glück finden wir einen Schmied, der sich für Tabak bereit erklärt, die Arbeit auszuführen. Hier begegnen wir Soldaten, von denen wir nicht wissen, sind es Tschechen oder Russen? Am Nachmittag übergibt uns der Ami dem Russen! Unsere Räder, Uhren, Schmuck und sonstige Wertgegenstände wurden uns von den Russen und Tschechen auf brutalste Weise entrissen. Noch vor Dunkelheit wird uns eine Wiese zum Übernachten angewiesen. Das erste was wir machen, ist alles, was für den Russen einen Wert hat, wird versteckt. Die Mädels ziehen sich alte Kleider an, um sich alt und unschön zu machen. Bei Dunkelheit treiben sich unheimlich viel Russen und Tschechen auf dem Lagerplatz rum. Nicht lange darauf hören wir an verschiedenen Stellen Hilferufe! Alle jungen Mädels haben sich, soweit es geht verborgen. Mama, Tante Mieze, Christa und Lizi schlafen auf dem Wagen. Ich selbst binde die Pferde kurz an der Deichsel fest und hocke mich auf die Deichsel. Wenn jemand auf den Wagen will, muss er mich erst runter werfen. Hilferufe und Schreien von Mädels, die von den Russen von den Wagen runtergezerrt , in den Wald geschleift und vergewaltigt wurden, hören nicht auf. Auch an unseren Wagen kommt ein Russe und sucht Mädels. Als ich ihm sagte es sind nur alte Frauen auf dem Wagen und es auch glaubt, will er von mir die Uhr. Ich habe ja keine mehr. „Uhra weg“. Er tastet mich ab und findet meine große Geldtasche, die er aber ohne Geld mitnimmt. Neben uns steht der Wagen von Frau Geißler, auf dem sich auch Mädels versteckt haben. Drei Russen wollen sie herunter holen. Zum Glück kommt eine Offizierspatrouille vorbei und packt zwei davon scharf an. Ulla schläft bei Frau Kneifel auf dem Wagen. Scheinbar wurde sie beim Aufsteigen beobachtet. Ein Russe kommt, der gebrochen Deutsch spricht und verlangt: „ich bin russisch Offizier wollen deutsches Frau:“ Da sich niemand rührt und auch sein Fluchen und Drohen nicht hilft, zieht er wieder ab. Die Nacht hat keiner ein Auge zugemacht. Das Schlimmste war ja, dass man dem bestialischen Treiben wehrlos ausgesetzt war.

18.05. Früh geht es bald weiter. Unser Kutscher, der seit Christianberg bei uns ist, hat gestern zwei Pferde gekauft. Nun geht es flotter voran. Am Abend treffen wir in Budweis ein und übernachten nahe der Stadt. Diese Nacht war es bedeutend ruhiger.

19.05. Heute ist Pfingstsamstag. Es regnet. Unterwegs werden wir oft von Russen belästigt. Tante Anna ist verunglückt und muss zum Arzt, der die Wunde näht. Zimmer Paul bleibt mit ihr zurück. Am Nachmittag weist uns das russische Begleitkommando auf eine Wiese zum Übernachten an, die sehr nass ist. Die Wagen müssen wir auf Befehl des russischen Transportleiters mit roten Fähnchen schmücken. Dabei soll er geäußert haben: „ Ihr deutschen Schweine werdet bald verstehen und begreifen lernen!“ Gegen Mitternacht treffen Tante Anna und Paul Zimmer ein. Die nächste Ortschaft heißt: Treborn.

20.05. Pfingsten! Heute fahren wir nicht. Der Russe ist großzügig. Ein Ochse von Rathmann, der schon einige Tage lahm geht, wird heute geschlachtet. Wir haben, da es immer regnet, ein Zelt gebaut. Dann habe ich im Wald Holz gesammelt, damit wir wieder mal etwas Warmes in den Magen bekommen. Als es dunkel war, haben wir vor dem Wagen ein Feuer gemacht, um die Russen zu verjagen. Wir haben gemerkt, dass dieses Volk das Licht scheut. Im Dorf grölen die ganze Nacht die Russen, sie feiern den Sieg! Auch diese Nacht war es einigermaßen ruhig.

21.05. Der Russe treibt mit uns was ihm beliebt. Die Geschirre von den beiden neuen Pferden nimmt er uns weg, und wir müssen froh sein, dass er uns das alte dafür gibt. Bei einem anderen Treck hängt er einfach eine Kutsche mit den beladenen Sachen ab. Am Spätnachmittag machen wir Halt in der Nähe eines Dorfes. Zum Kochen wollen wir uns Wasser holen, was uns untersagt wird. Gegen Abend kommt der stellvertretende russische Treckleiter total besoffen auf unseren Lagerplatz. Mit seiner Pistole will er Kunststücke zeigen und schießt blöd in der Gegend umher. Einen Hund, der ihn anbellt, schießt er nieder. Später verlangt er Schnaps und droht, jeden zu erschießen, der ihm keinen gibt. Als ersten hat er unseren Vikar in der Zerre. Nach langem Drohen bekommt er eine Flasche Wein. Doch damit ist er nicht zufrieden. So fordert er, der nichts Trinkbares mehr bekommt die Armbanduhr. Da der Vikar seine Uhr nicht heraus gibt, weil es ein altes Erbstück ist und der Russe seine Drohungen wahr machen will, gibt eine Frau ihre Uhr weg. Dasselbe versucht er noch an anderen Stellen. Auch Mädels versucht er aufzuspüren.

23.05. Als wir am Morgen auf der Straße zur Abfahrt bereit standen, kommt der russische Treckführer und befiehlt, jeder Männliche im Alter von 15 – 40 Jahren muss mit ihm in das nahe liegende Lager und dort seine Papiere überprüfen lassen. Im Lager angekommen geht es gleich zur russischen Lagerkommandantur, um alles zu erledigen. Dort aber bekommen wir zu hören, dass man uns nicht sofort abfertigen kann, denn es warten schon 700 Zivilisten auf ihre Papiere. Wir machen dem Russen klar, dass wir die Frauen nicht allein mit den Wagen fahren lassen können. Er sagt: es geht nicht, wir müssen hier bleiben, aber erlaubt uns noch, die notwendigsten Sachen zu holen. Als wir unser Ränzel schnüren und Abschied nehmen, fließen überall Tränen. Von unserem Treck müssen Paul Zimmer, August Krämer, Hubert Schneider, Herbert Pohl, der Kutscher von Onkel Paul und Frau Kneifel, beide ehemalige Soldaten, und ich ins Lager. Herr Vikar Meier geht auch mit uns. Als aber Wagen innerhalb des Lagers umdrehen, steigt er auf, versteckt sich auf dem Wagen und fährt am Posten vorbei. Auch ich bin der Meinung da sich niemand um uns kümmert, die Gelegenheit wahrnehmen und abzuhauen. Da wir aber beschlossen haben, zusammen zu bleiben und die meisten der Ansicht sind im Lager zu bleiben, um unsere Papiere in Ordnung zu bringen, füge ich mich auch. Wird man später überprüft, steckt man uns dann doch irgendwo ins Lager.

Hier endet Jochens Fluchtbericht der Bischofwälder.

Jochen berichtet über den Aufenthalt im russischen Lager

Im Lager treffen wir zwei Markersdorfer, die dem August gut bekannt sind. Sie schließen sich uns an. Nun sind wir neun Mann und wollen mal sehen, was man mit uns vorhat. Unterwegs erfahren wir von Landsern, das hier über 60 000 Mann liegen. Die Leute liegen im Freien, haben sich aus Reisig Notunterkünfte gebaut. Im Lager sind nur einige Baracken, in denen die Lagerleitung, die Verpflegung und Schwerkranke untergebracht sind. Als wir in die Nähe der Kommandantur kommen, sehen wir gerade, was man mit Neuangekommenen vorhat und deren Sachen durchsucht (filzt). Wir bleiben außer Sichtweite und machen im Gebüsch erst mal halt und frühstücken. Als man die Leute entlässt, schließen wir uns ihnen an. An der deutschen Zivillagerleitung werden unsere Personalien aufgenommen und dann in Hundertschaften eingeteilt. Im Wald, in Nähe der Baracken, ist unser Lagerplatz. Wir gehen gleich an den Bau einer Hütte aus Tannenreisig. Das war aber etliche 100 Meter weit heranzuschleifen. Bei Anbruch der Dunkelheit sind wir noch nicht fertig, denn es steht dem ganzen Haufen nur eine Säge und ein Beil zur Verfügung. In der Nacht schlafen wir fest und ruhig.

24.05.1945 Am Vormittag bauen wir unsere Hütte fertig. Am Nachmittag streifen wir im Lager umher. Was wir da sahen, verschlug uns den Atem! Unsere Pferde und Kühe und die leeren Wagen stehen im Lager. Von einem Landser erfahren wir, dass man die Trecks vollkommen plündert. Nur das, was jeder tragen kann, bleibt den Leuten. Nun wissen wir, warum man uns vom Treck weggeholt hat! Man wollte die Frauen nur ungehindert ausplündern können. Wie mag es unseren Leuten nur ergangen sein? Wir sind sehr beunruhigt. Am Abend sitzen wir noch lange vor der Hütte an einem kleinen Feuerchen und beraten, was man tun könnte und wie man etwas über unser Leute erfahren kann. Diese Nacht schläft von uns keiner ruhig.

Nun macht man auch für uns eine Küche klar, bisher haben wir uns aus Eigenem ernährt. Die Vielen, die vor uns kamen, hatten schon tagelang nichts mehr zum Beißen. Zwar bekommen die Hundertschaften hin und wieder mal etwas Mehl, das ist aber immer nur 3 -4 Esslöffel pro Mann. Die Küche wird in einer Baracke eingerichtet. Nun bekommen wir zweimal Suppe und einmal Kaffee. Auch versucht man, uns Brot zu beschaffen, doch wenn man ein Brot mit 20-25 Mann teilt, bleibt nicht viel für jeden, dazu ist es noch Maisbrot, schwer und nass. Wir teilen unser Mitgebrachtes gut ein, damit es noch lange reicht. So vergeht ein Tag um den anderen: früh essen, antreten zum Appell bis Mittag, schlafen, wieder essen, Nachmittag Karten spielen, singen oder schlafen. Abends ein Bröckchen Brot und Kaffee und wieder Zählappell.

Um unsere Papiere kümmert man sich nicht, auch scheint man es mit dem Entlassen nicht zu eilig zu haben. Bisher werden nur Jungen unter 16 Jahren, die in den Kinderlandverschickungs-Lagern in Bayern waren, entlassen. Wir versuchen mit unseren Leuten brieflich in Verbindung zu treten, ob es klappen wird? Nach einigen schönen Tagen fängt es nun an zu regnen. Obwohl wir einige Zeltplanen haben und die in unserer Hütte schon aufgespannt haben, ist es nach der ersten Regennacht so nass, dass wir nicht in der Hütte schlafen können. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als die Nacht am Feuer sitzend zu verbringen. Die Zeltplanen spannen wir beim Feuer auf und nehmen darunter Platz. In dieser Nacht beschließen wir, uns eine stabile Hütte zu bauen. Am Morgen geht es gleich los, wir suchen uns passende Stämme aus einem verlassenem Blockhaus und schleppen die zum Bauplatz. Am Abend haben wir den Bau fertig, und es ist für zehn Mann Platz. Die Wände sind aus übereinander gelegten Stämmen, dass Dach ist ebenfalls mit dünnen Stämmen belegt. Alle Fugen haben wir mit Moos ausgestopft und darüber Baumrinde gelegt, die mit Erde beschert ist. Wir hoffen, dass es etwas Regen aushalten wird. Spät fallen wir auf unser Strohlager und schlafen tief. Mitten in der Nacht wird aber wieder alles geweckt.

Nach einem Befehl des russ. Lagerkommandanten müssen noch in der Nacht neue einheitliche Hütten gebaut werden. Alles schimpft über die gestörte Nachtruhe, aber es hilft nichts, wir müssen raus. Als erstes werden große Feuer entfacht, die genügend Licht spenden sollen. Später stellt sich heraus, dass über den Aufbauort und die Maße der Hütten nichts Genaues bekannt ist, erst im Laufe des Tages war alles soweit klar und wir konnten mit dem Bauen beginnen. Jede Hütte war für zehn Mann berechnet, wir verwerteten das Material von den alten Hütten. So stabil wie die letzte wurde sie ja nicht.

Nun beginnt auch der Abtransport der ersten Regimenter und zwar marschieren die nach Brünn, von dort soll es per Bahn nach Deutschland gehen. Mit uns Zivilisten rührt sich noch nicht viel. Hin und wieder forscht der Russe nach Leuten, die bei der Wehrmacht, Volkssturm oder sonstigen militärischen Verbänden waren und steckt sie in die Transporte. Verdächtig ist nur, dass die Kranken immer wieder hier bleiben. Beim Filzen gibt es immer wieder lustige Szenen: zum Beispiel schießt ein Russe auf einen plötzlich losrasselnden Wecker, im Glauben es sei eine Höllenmaschine, ebenso ist ein Rasierklingenschärfer eine gute Maschine. Von Uhren und Schmuckgegenständen ist ganz zu schweigen, die werden kassiert, wo man nur welche weiß. Wir sind inzwischen auch alle verschönert worden. Lange Haare sind nicht mehr modern, also wird der Kopf rasiert. Beim Schneiden schöner Locken sind auch Tränen geflossen. Ein jeder hat sich noch eine Locke in die Brieftasche gesteckt. Wir sehen jetzt wie Verbrecher aus. Unsere Papiere werden überprüft, besser gesagt, man registriert uns nochmals.

Wir hoffen, dass wir nun endlich entlassen werden. Etliche Tage später wird ein Kranken- und Invalidentransport zusammengestellt. August und Paul haben das Glück dabei zu sein. Ich selbst war im entscheidenden Moment nicht da, verpasste somit den Anschluss. Musste der verdammte Arbeitsdienst gerade zu der Zeit sein? Als ich bei der Lagerleitung vorspreche, tröstet man mich damit: beim nächsten Mal sind sie gewiss dabei. Paul gebe ich Briefe an Mutter mit. Hoffentlich trifft er sie, denn der Russe übergibt den Transport dem tschechischen Roten Kreuz.

Seit Bestehen des Lagers herrscht überall Typhus, Fleckfieber, Ruhr und andere Krankheiten.Wohin man geht trifft man auf Warn- und Verbotsschilder. Auch Läuse sind jetzt Mode geworden, ich selbst bin noch frei davon. Ein Wunder ist es nicht, dass es das alles gibt, denn unser Trinkwasser holt man von nassen Wiesen, auf denen man zwei bis drei Spatenstiche tiefe Sickerlöcher angelegt hat. Die Latrinen sind ebenso eine große Gefahrenstelle. Kein Chlorkalk. Am großen See ist eine Entlausung entstanden. Auch wir müssen da mal durch. Wer noch keine Läuse hatte, bekommt sie erst dort. Zum Baden gibt man uns auch Gelegenheit. Zuvor werden wir noch der letzten Haare entledigt. Oh, wir sind schon stumpf geworden, denn uns stört das nicht mehr. Wir sind nun schon vier Wochen hinter Stacheldraht. Andauernd gehen Transporte ab, wohin?? Parolen tauchen auf, alles geht nach Russland in Gefangenschaft.

Eines Tages muss das ganze Lager antreten, der russische Lagerkommandant will einige Worte zu uns sprechen. Er widerlegt alle Parolen und gibt uns sein Offiziersehrenwort, dass kein einziger Mann nach Russland kommt. Er will jeden Gerüchtemacher schärfstens bestrafen. Wollen wir hoffen, dass es nur Parolen sind, es wäre sonst schrecklich. Wieder geht ein Krankentransport, wobei alle Zivilisten diesmal mitkommen. Hubert und Herbert sind, da sie noch keine achtzehn Jahre sind, zum R.A.D. Bataillon gekommen. Außer den beiden Markersdorfern ist nur noch der Franz bei mir. Wir sollen nach Budweis marschieren, in zweieinhalb Tagen dort sein und dann in die Heimat transportiert werden. Uns Zivilisten gibt man einen Oberleutnant als Kompanieführer, damit es klappen soll. Er bildet gleich einen Kompanietrupp, dem ich als Melder angehöre. Ich bin nicht erbaut davon, denn das bringt doch nichts ein.

Am 1.07.1945, früh bei Dämmerung brechen wir auf. Der Transport ist ca. 2 000 Mann stark. Da alles Kranke und Invaliden sind, soll immer drei Kilometer marschiert werden und zehn Minuten Rast eingelegt werden. Am Anfang geht alles gut, gegen Mittag drückt die Sonne, der Rucksack und der Schuh und dazu knurrt der Magen. Wasser ist auch nicht zu haben, denn wer einen Schritt von der Straße weicht, muss sich vorsehen, dass er nicht erschossen wird. Hin und wieder stellen das für soo Viele?

Die Dörfer durch die wir ziehen, sind alle geflaggt. Früher waren es Nazifahnen, jetzt hat man das Hakenkreuz raus getrennt, schon ist eine neue Fahne fertig. Unsere Marschverpflegung, die aus einem Kilo nassem Maisbrot bestand, ist schon verzehrt. Ich sehe für den nächsten Tag schwarz. Am Abend nach ? Km beziehen wir in einem kleinen Wäldchen das Nachtlager. Hier muss ich das erste Mal als Melder in Tätigkeit treten. Zum Glück ist es nicht allzu schlimm. Mit dem Putzer vom Kompanieführer muss ich Wasser holen, Holz suchen und Feuer machen, es gibt noch Vorrat von Mehl, Fleisch und Zucker, davon wird eine gute Suppe gekocht und vom Kompanietrupp verspeist. Nun brauche ich doch nicht mit leerem Magen schlafen gehen. Franz hat schon inzwischen das Nachtlager hergerichtet. Hinhauen und schlafen war eins. Viel zu früh ist der Morgen da, wir sind wie zerschlagen, unsere Beine wollen nicht mehr. Ja, wir haben zu viel gefaulenzt, darum machen uns die Kilometer so fertig. Gegen 8 Uhr geht es wieder weiter, auch heute meint es Petrus recht gut mit uns. Unterwegs begegnen uns Russen, die wieder etwas von uns erben wollen. Wer gute Schuhe oder Stiefel besitzt, muss sie ausziehen. Unsere poln. Begleitmannschaft hilft ihnen dabei. Die Betroffenen müssen froh sein, wenn sie alte vertretene Gurken dafür bekommen.

Der Hunger zwingt heute schon viele Kameraden, Tschechen um Brot anzubetteln. Hin und wieder bekommen sie was, meistens reicht es nur für wüste Beschimpfungsworte. Wir atmen alle auf als unser Tagesziel erreicht wurde. Ich muss wieder Wasser und Holz besorgen, was ich gerne mache, denn der Magen wird ja belohnt dafür. Unser Rastplatz ist heute ungünstig gelegen, die Nähe des Dorfes bringt es mit sich, dass junge Tschechen hier überall herumspionieren. Kaum liegen wir lang, als schon die ersten Klamotten unter den Köpfen weggezogen werden. Die Posten stehen dabei und geben acht, dass sich keiner rührt oder schreit. Wer trotzdem nicht ruhig ist, bekommt den Gewehrkolben ins Kreuz mit den Worten „ du schnell schlafen!“ Heute Mittag sollen wir das Lager in Budweis erreichen. Was wird uns dort erwarten? Wir hoffen alle, hier entlassen zu werden. Noch am Vormittag treffen wir am Lager ein. Es ist auf dem Flugplatz. Bis gegen Abend müssen wir warten, dann endlich lässt man uns, nachdem tüchtig gefilzt wurde, hinein. Ich habe Glück und komme in eine Baracke, natürlich sind keine Betten vorhanden aber wir schlafen wie lange nicht.

04.07.1945 Um 7 Uhr beginnt unser Tag mit Suppe, anschließend Apell. Uns Neuen wird eine andere Unterkunft zugewiesen. Wir müssen in eine Werkstätte mit Betonboden einziehen. Am Tage sehe ich mich etwas im Lager um, die Küche, Bäckerei und das Verpflegungsmagazin sind in Garagen untergebracht. Alle Schuppen , Werkstätten und Lagerräume sind mit Landsern belegt. In den Mannschaftsbaracken ist das Lazarett und die Verwaltung einquartiert. Das ganze Lager ist in Zonen eingeteilt, die nicht verlassen werden dürfen. In Zone I ist Stammpersonal, Zone II und III ist Wartelager, Zone IV ist Transportlager. Ich bin froh, dass meine Kameradeneinen Bettenrost erbeutet haben. Obwohl es darauf nicht angenehm zu liegen ist, ist es doch besser als auf dem blanken Boden. Heute Abend soll es noch Brot geben. Wie aber ältere Lagerkameraden erzählen, wird es meistens 11 bis 12 Uhr. Als es dann da ist, will es natürlich jeder bald haben, also wird geteilt. Auf fünf bis sechs Mann entfällt immer ein Brot. Damit keiner zu kurz kommt, wird es mit einer Schnur ausgemessen und geteilt. Wer schon geschlafen hat, ist bestimmt bei den vielen Ratschlägen aufgewacht und hat sich dann erst wieder hingelegt als sein Brot gegessen war.

Die Russen, oder besser gesagt der Ungarische Lagerkommandant hat sich eine neue Art des Appells ausgedacht. Nach der allgemeinen Zählung lässt er das ganze Lager an sich vorbeimarschieren, neben dem Kommandanten und dessen Anhang steht die Musikkapelle. Alle Hundertschaftsführer müssen ihm den militärischen Gruß erweisen.

Hier endet Jochens Bericht!

Das weitere Schicksal der Trecks vom 23.05.1945

Waren wir alle in einer Fluchtstarre?? Keiner hat mehr schriftlich etwas festgehalten, wie es auf unserem Fluchtweg weiter ging. Christa schreibt: Mit dem 23 Mai brach ein schlimmer Tag für uns an. Auf offener Straße mussten wir plötzlich vor einem Russenlager halt machen. Es hieß, alle Männer von 15 – 40 Jahren sollten sich beim Kommandanten melden. Jochen, mein Bruder, war gerade 18 Jahre geworden, deshalb war er auch betroffen. Er kam bald wieder zurück, aber nur, um einige Sachen zu holen und von uns Abschied zu nehmen. Er kam ins Russen-Lager.

Unsere Reise ging weiter. Wir wurden unweit des Russenlagers zwischen Neuhaus und Neu -Bistritz auf eine große Wiese geführt, wo sich schon eine unabsehbare Menge anderer Fluchtwagen befanden. Gleich darauf kam der Befehl, alles vom Wagen abzuladen und den leer geräumten Wagen im Russenlager abzuliefern. Komisch: diese Aufforderung brachte uns keine Aufregung, waren wir doch noch auf Schlimmeres gefasst. Wir durften uns einige Sachen zusammenpacken, alles andere blieb auf der Wiese zurück. Eine Nacht verbrachten wir noch zwischen unseren lieb gewonnenen Dingen auf der Wiese. Es befanden sich Unmengen von nützlichen Gegenständen, Kleidung , Wäsche und Betten, welche aufgeschlitzt wurden und man den Federn Grüße an die Heimat zurief. Unser Brot war längst aufgebraucht, so wurden kleine Küchlein von Mehl, Wasser und Zucker zubereitet. Am nächsten Abend, es muss der 24.Mai gewesen sein, kam die Aufforderung, den Platz zu verlassen. Wir schlugen die Richtung Österreich ein, wo wir nach 6 Kilometern den Bahnhof Neubistritz erreichten. Hier sollte ein Transport - oder war es eine Traumvorstellung? - in die Heimat möglich sein. Doch nach langem Warten jagten uns die Tschechen unter Drohung, erschossen zu werden vom Platz, und so hetzten wir weiter der österreichischen Grenze zu. Alte stehengelassene Wagen wurden mit dem Gepäck beladen, und wir zogen und schoben den Wagen zum Spott der Russen und Tschechen selbst.

Wir erreichten die Grenze von Österreich und strömten dem Ziel zu, hinter Freistadt zu den Amerikanern zu gelangen. Nach ca 130 Kilometern Wanderung erreichten wir die Bahnlinie, hinter dessen Gebiet die Amerikaner besetzt hielten. Bis uns das gelang, mussten wir noch einige Tage im Wald verbringen. Aber es waren ruhige Nächte, denn bewaffnete Amis hielten Wache. Längst hatte sich unser Treck durch all die Vorkommnisse zerstreut, so dass nur noch knapp die Hälfte beisammen war. Herr Christoph und Pfarrer Meier bettelten in Hirschbach Ob. Österreich beim Bürgermeister um vorübergehende Bleibe. So wurden wir verteilt und unser Familienclan von ca. 26 Personen wurden nach Auerbach geschickt. Bauer Leitgöb war gewillt, uns Unterkunft zu geben, aber leider nur in der nahe gelegenen Feldscheune wäre es möglich. Wir nahmen das Angebot an und richteten uns eine erholsame Bleibe. Für Brot und Kartoffeln arbeiteten wir bei den Bauern. Wir Kinder erbettelten in der Umgebung Milch und Butter, der Wald gab uns Beeren und Pilze. Die Bäuerin ließ uns mit großer Geduld auf ihrem Herd unser karges Mahl kochen. So erholten wir uns einige Zeit von den geschafften Strapazen der Flucht.

Nach acht Wochen gelebter Ruhe wechselte der Amerikaner seine Stellung im Mühlviertel an die Donau zurück. Die Russen bekamen das Gebiet Oberösterreich. Hirschbach und Umgebung lernten die Russen kennen, plündern und Unruhe war angesagt. Die Scheune war für uns zu unsicher geworden und so macht Bauer Leitgöb für uns den Getreidespeicher frei. Wenn wir auch weiter auf Stroh schliefen, fühlten wir uns doch sicher. Trotzdem gelang den Russen irgendwie der Einlass in den Hof - und wenn es durch das strohgedeckte Dach in der Scheune gelang. Sie leerten dem Bauer manche Truhe, Schränke und was eben Sehenswertes erreichbar war.

Nun galt auch für uns die Entscheidung: so geht es nicht weiter und wir beschlossen, Österreich zu verlassen. Am 05.09 19145 nahmen wir Abschied von der Familie Leitgöb in Auerbach 20 bei Hirschbach. Unser Ziel war zunächst Passau. Onkel Paul Milsch nahm mit seiner Familie die Richtung Bamberg in Betracht. Onkel Josef Jahnel und Tante Marta suchten ihre Kinder. Frau Mehlich und Kinder nahmen den Weg nach Hannover. Frau Kneifel und Kinder blieben bei Wegscheid zurück. Tante Anna Jahnel und Sohn Hermann zogen mit uns: Mama Klara Rinke Christa und Felicitas, sowie Luzia Langer und Ursula Sowarek, zwei treue Bedienstete. Wir wussten nicht wohin! Man wollte uns in ein Auffanglager stecken, bis sie uns wo unterbringen konnten. Ursula, die bevor sie bei Mama in die Landwirtschaftliche Lehre kam, machte den Vorschlag, mit ihr nach Deiningen bei Nördlingen zu fahren. Ursula war dort im Landdienst. Mama meldete, wir werden in Deiningen erwartet und so bekamen wir Fahrerlaubnis nach Deiningen.

Wie vom Himmel gefallen, kamen wir am 12.09 1945 in Deiningen an und konfrontierten den Bürgermeister, uns als Flüchtlinge aus Schlesien aufzunehmen. Wir hatten Glück, er war ein einsichtiger, guter Bürgermeister und brachte uns für den Übergang im alten ausgedientem Landdienstlager unter. So wurden aus Schlesiern neue Bayern und unser Weiterleben musste neu geregelt und akzeptiert werden. Unser Vater, der den Traum hatte, die Heimat zu retten und seine Mühle zu behalten, wurde mit den noch Daheimgebliebenen ausgewiesen, 8 vertrieben). So traf er nach 19-monatlicher Trennung am 29.10.1946 bei uns ein. Am 23.12.1948 kam Jochen, unser Bruder, aus der Gefangenschaft und für Eltern und uns wurde es das schönste Weihnachtsfest.

Quelle: Persönliche Aufzeichnung von Joachim Rinke (1927 - 1958), über das weitere Schicksal der Trecks schrieb die Schwester Chrsta Rinke (1929 - 2012). Die Schwester Felicitas Rinke stellte die Schrift für die Online-Nutzung der Verfügung.

Zur weiteren Information siehe auch das Interview mit F. Rinke, erschienen in der Bonner Rundschau, Unabhängige Zeitung für Bonn und den Rhein–Sieg-Kreis am 15. April 2020, Seite 3.

Weblinks

Paul Fieweger – Austreibung im Kreise Neiße von Juni 1945

http://www.silesia-schlesien.com/index.php%3Foption%3Dcom_content%26view%3Darticle%26id%3D196:paul-fieweger-austreibung-im-kreise-neisse-von-juni-1945-

Alfred Köhler - Die letzten Tage von Markersdorf und Altwette

https://www.yumpu.com/de/document/view/21272176/die-letzten-tage-von-markersdorf-und-altwette-ortschronik-alt-wette

Hilde Kretschmer - Erinnerungen an die Flucht 1945/46 (Riemertsheide)

http://www.heimatverein-langen.de/index.php?article_id=45