Instructionsbuch für den Infanteristen (1872)/075
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Einflüsse, stählen seine Muth durch gesteigerte Willenskraft und Zuversicht auf die schon erprobte Leistungsfähigkeit. Wie viele Tausend, ja hunderttausend Male hat sich nicht schom die Geeschichte wiederholt, daß Eltern, Gewschister, Freunde und vielleicht auch einige Freundinnen den zur Reserve entlassenen Dreijähringen, im Vergleich zu dem, was er war und wie er aussah, als er seine Gestellungs-Ordre erhielt, gar nicht mehr wiedererkannten, und sich wunderten, was in der kurzen Zeit aus ihm geworden, oder vielmehr, was aus ihm gemacht worden war; denn wenn eine Zeit vorüber ist, erscheint sie Jedem als eine kurze -- desto laäner aber, wenn man sie vor sich hat, und wenn aus Einem etwas geworden ist, denkt man mehr an seine eigene Geschicklichkeit, als an das Verdienst seines Lehrers. Der Junge geht anders, steht anders, spricht anders, faßt das Ding anders an, ist resoluter und kräftiger, hat auch das Maul halten gelernt, was allerdings nicht allein eine Folge der Gymnastik ist, sondern aus dem lebhaften Wunsch seiner Vorgesetzten während der Dienstzeit hervorgeht.
Besehen wir uns, schriftlich und bildlich, also die Mittel, durch welche alle dies Zwecke erreicht werden, etwas näher, und zwar zuerst die Frei-Uebungen, also die Grundlage für alles Uebrige. Sie dienen dazu, den ganzen Körper gelenkfrei, das heißt die Gelenke geschmeidiger zu machen. Sie können überall, in der Stube, wie im Freien, ohne Gerüst und Geräthe ausgeführt werden, kräftigen auf einfachste Weise die Muskulatur und bilden den Sinn für Form und Tempo aus. Wollte man den Rekruten nur Parademarsch in langsamem Schritt üben lasse, so würde dadurch eine vorwiegenden Steifheit des Oberkörpers herbeigeführt werden; wollte man nur Griffe machen lassen, so würden zwar die Arme gelenkig genug werden, der ganze übrige Körper aber ungelenkig bleiben. Darum sind gymnastische Frei-Uebungen zwischen diese ausschließliche militärischen Uebungen als vorbereitende und ausgleichende eingefügt worden, und sollen sie den rechten Nutzen bringen, so müssen zu diesen Frei-Uebungen alle Gelenke des Körpers gleichmäßig in Anspruch genommen werden, und zwar: 1) das Hals-Gelenk, 2) die Arm- und Hand-Gelenke, 3) die Rumpf-Gelenke, das heißt die Gelenke der Hüfte und der Wirbelsäule, 4) das Knie-Gelenk, 5. das Fuß-Gelenk.
Eine so zusammengestellte Anzahl von Frei-Uebungen nennt man eine Gruppe. Kopf- und Rumpf-Bewegungen müssen in langsamem Tempo ausgeführt werden, damit sie keinen schädlichen Einfluß auf das Gehirn und das Rückenmark ausüben, und ist die Sorge dafür eine besondere Wohlthat der wissenschaftlichen Betreibung des Unterrichts in der Central-Turn-Anstalt, welche anerkannt auch in dieser Richtung Vorzügliches leistet. Wie oft sind durch muthwilliges und übermüthiges Springen, Ringen und Klettern nicht schon schwere Verletzungen und Erschütterungen edler Theile, Krankheiten, ja der Tod herbeigeführt worden! Nun, das wird man militärisch betriebenen Turn-Uebungen nicht nachsagen können, eben weil sie nicht in den Willen oder Muthwillen des Einzelnen gestellt sind, sondern unter strenger und sorgfältiger Aufsicht gemacht werden.
Wenn zum erstenmale auf dem Exerzirplatze einem Gliede eben von der Compagnie-Kammer fertig gewordenen Soldaten: Stillgestanden! commandirt wird, bekommt man recht curiose Anblicke zu sehen. Der Eine hält den Kopf verdreht, der Andere die linke Schulter hoch, die rechte schief oder umgekehrt; sein Nebenmann hat die Kniee so weit auseinander, daß eine Heerde Hammel durschspringen könnte; hier streckt einer den Unterleib, da einer die Nordseite des Körpers, wo der Rücken aufhört, heraus. Jeder bildet sich aber ein, er steht sehr gerade und sieht sehr schön aus, ein Irrthum, über welchen ihn die nächsten Wochen gründlich aufklären. Das kommt daher, weil selten ein Rekrut mit einem gleichmäßig ausgebildeten und gelenkigen Körper eintritt. Fast Jedem ist sein früherer Beruf oder Stand anzusehen. Die sitzende Lebensweise des Webers hat eben so wohl ihre Folgen für den Körper, als die anstrengenste Uebung des Armes beim