Instructionsbuch für den Infanteristen (1872)/071

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Instructionsbuch für den Infanteristen (1872)
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dahin in seinen Civil-Verhältnissen vorgekommen sein mag. Mit der Höflichtkeit und mit dem Sanftmuth geht es im Dienste überhaupt nicht, und wie der ganze Zweck des Soldatenwesens ein gewaltsamer und auf Anwendung von Gewalt gerichteter ist, so kann auch, bei den Mitteln dazu, die Gewalt nicht vermieden werden. wie die Commandos so kurz und bestimmt wie möglich lauten und laut ausgesprochen werden müssen, auch von besonderer Höflichkeit und Sanftmuth dabei nicht die Rede sein kann, so ist das ganze Verfahren bei Ausbildung des Soldaten ebenfalls kürzer, rauher und strenger, als in fast allen anderen Verhältnissen. Es würde selbst dem höflichsten und sanftesten Rekruten sehr curios klingen, wenn es hieße: "Hätten Sie wohl die Güte, jetzt etwas still zu stehen?", oder: "Dürfte ich wohl bitten, die Brust etwas herauszunehmen?", oder: "Wie wäre es, meine Herren, wenn wir jetzt das Gewehr präsentirten?" In demselben Maße wäre es geradezu unthunlich und vor allen Dingen unwirksam, wenn der Vorgesetzte so mit den Rekruten beim Ausexerziren verfahren wollte. Wie der Ton des Commandos, so stellt sich auch sehr bald beim Verbessern, Tadeln und Wiederholen ein strenger und anscheinend unfreundlicher Ton ein, des allerdings Manchem ungewohnt vorkommt, den er aber nicht auf sich zu beziehen braucht, wenn er sich sichtlich anstrengt und Mühe giebt, das Tadeln und Verbessern für seine Person zu vermeiden. Die Exercir-Gefreiten und Unteroffiziere sind ja vor wenigen Jahren auch Rekruten gewesen und haben dasselbe empfunden, was der Rekrut heute empfindet; wenn es sich also anders machen ließe, würden sie es gewiß gern anders machen, denn sie können sich ja dadurch ihre schwere Aufgabe erleichtern. Es muß doch also wohl nicht anders gehen, und wenn man sich das selbst sagt, wenn man durch Nachdenken sich überzeugt, daß alle militärischen Dingen ihren guten Grund haben, so macht man sich die erste Zeit viel weniger schwer, als wenn man mit Unlust, innerlichem Widerspruch und Trotz seine Pflicht thut; denn thun muß man sie schließlich doch, und was nicht biegen will, muß gebrochen werden, wenn nicht das Ganze unter Einzelnen leiden soll.

      Ein gutes Mittel, über sich selbst klar zu werden, ist für den Rekruten die Aufmerksamkeit -- natürlich, während: Rührt Euch! commandiert ist -- auf die anderen Exerzir-Abtheilungen, denn da sieht er das an Anderen, was sein Unteroffizier an ihm sieht, er selbst aber nicht bemerken kann. Da sieht er selbst jede Ungleichheit, jede Ungeschicklichkeit und versteht auch, weshalb der Unteroffizier dort den Einen härter anläßt, als die Anderen, denn die Anderen machen es eben besser als der Eine; der Compagnie.Chef verlangt aber vom Unteroffizier, daß sie Alle es gleich gut machen, sonst theilt der Bataillons-Commandeut wieder dem Comapgnie-Chef seine Ansicht über gleichmäßiges Exerziren mit, und so ist immer Einer dem Anderen im Soldatenstande verantwortlich; mit bloßer Zartheit, Höflichkeit und Liebe aber die Verantwortlichkeit nicht los zu werden, im Gegentheil: je höher hinauf, je schwerere wird sie.

      Das was dem Menschen am schwersten geworden ist, sich anzueignen, darauf ist er gewöhnlich nachher am stolzesten; und wenn es bei der Rekruten-Vorstellung heißt: "Die Comagnie hat gut abgeschnitten!", so ist alle Mühe, Kälte , klamme Finger, Schweiß und Knochenschmerz vergessen, das Gewehr ist dem jungen Soldaten so leicht geworden wie ein Flederwisch und der ganze Kerl fühlt sich in der Herrschaft über seinen Körper ein Anderer, als er bis dahin gewesen. Er sieht und erkennt genau bei Anderen, wo es sitzt und fehlt, und freut sich, daß derselbe Unteroffizier, der ihn hin und wieder etwas angeblasen, jetzt für seinen Eifer belobt wird.

      Zu dieser vollkommenen Herrschaft über den Körper gehört aber außer dem Exerziren auch das Turnen oder die militärische Gymnastik, denn dies macht die Glieder erst gelenkig und geschmeidig, verdoppelt und verdreifacht die Kraft und giebt das vollkommene Selbstvertrauen für die Ueberwindung anscheinend