Hessische Familienkunde/Band 01/Heft 01/0001-0002

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Hessische Familienkunde/Band 01/Heft 01
Eine Veröffentlichung der Arbeitsgemeinschaft der familienkundlichen Gesellschaften in Hessen.
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Hessische Familienkunde


In Arbeitsgemeinschaft herausgegeben von der „Gesellschaft für Familienkunde in Kurhessen und Waldeck“
und der „Familienkundlichen Gesellschaft für Nassau und Frankfurt“


Band 1 Frankfurt a. M., März 1948 Heft 1


Die Kriegsverluste an genealogischem Quellengut in Hessen-Nassau

Von Eduard Grimmell, Kassel und Dr. Heinz F. Friederichs, Frankfurt am Main.

1. Reg.-Bez. Kassel (Kurhessen).

      Den verheerenden Auswirkungen des Krieges ist viel wertvolles genealogisches Quellenmaterial im Reg.-Bez. Kassel zum Opfer gefallen. Dankbar darf festgestellt werden, daß unser wichtigstes Archiv, das Staatsarchiv in Marburg, nur verhältnismäßig geringe Verluste erlitt. Das Archivgebäude blieb unbeschädigt, aber durch Auslagerung ging einiges Material verloren. Soweit mir bekannt, ist auch die Fuldaer Landesbibliothek mit ihren Archivalien erhalten geblieben. Umso schmerzlicher sind die Verluste in Kassel.

      Fast der gesamte Bestand an Kasseler Archivalien ist ein Opfer des schweren Luftangriffes vom 22. 10. 1943 geworden. Durch eine schrägeinfallende Brandbombe ging das im Kellergeschoß des Rathauses untergebrachte Kasseler Stadtarchiv mit all seinen Beständen verloren, während das darüberliegende Erdgeschoß erhalten blieb. Völlig verloren gingen die alten Urkunden aus dem 15. und 16. Jahrhundert, die für die Familienkunde von großer Wichtigkeit waren; nichts ist übriggeblieben von den recht interessanten Zunftakten aus dem 17. Jahrhundert und dem umfangreichen Material aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Ein Raub der Flammen wurde auch das schöne alte Kasseler Bürgerbuch. Nur noch kümmerliche Reste sind übriggeblieben. Umso dankbarer dürfen wir F. Gundlach sein, der 1895 das Kasseler Bürgerbuch veröffentlichte und mit vielen genealogischen Anmerkungen versah. Leider verzehrten die Flammen im Stadtarchiv auch die Kasseler Kirchenbücher aus dem Zeitraum von etwa 1750 bis zur Gegenwart. Da gleichzeitig auch die Photokopien und Karteien bei der Evang. Kirchenbuchstelle in der Spohrstraße verbrannten, ist dieser Verlust besonders schmerzlich. Glücklicherweise sind wenigstens die älteren Kirchenbücher aus der Zeit vor 1750 im Marburger Stadtarchiv erhalten geblieben. Dort waren auch die gesamten Kirchenbücher der Kasseler Garnisonsgemeinde deponiert. Leider sind mit den Kirchenbüchern der Stadt auch sämtliche Kirchenbücher der Kasseler Vorortgemeinden Bettenhausen, Waldau, Niederzwehren, Oberzwehren[GWR 1], Nordshausen, Wehlheiden, Wahlershausen, Kirchditmold und Rothenditmold verlorengegangen. Erhalten geblieben ist aber die Gesamtkartei der Bettenhäuser[GWR 2] Kirchenbücher, die unser Mitglied Rektor Dreusicke in fleißiger Arbeit angelegt hatte und ebenso die von ihm angefertigte Kartei der französischen Kirchenbücher Kassels. Im Gemeindeamt wurden gerettet die Duplikate der Begräbnis- und der Konfirmanden-Register von 1830 bis zur Gegenwart. Im Rathaus gingen auch die Standesamts-Register sämtlich verloren.

      Geplant ist eine Rekonstruktion der verbrannten Kasseler Kirchenbücher. Wahrscheinlich wird diese Aufgabe dem früheren Leiter der Kirchenbuchstelle im Evang. Gemeindeamt, Direktor Fricke, anvertraut. Es ist mancherlei vorhanden, um eine Rekonstruktion durchzuführen, und es steht zu hoffen, daß etwa 80% der eingetragenen Amtshandlungen wieder hergestellt werden kann, wenn auch nicht in genauem Wortlaut und bei den Taufen leider ohne Patenangaben. Wichtig wird sein, daß alle, die Auszüge aus Kasseler Kirchenbüchern besitzen, diese zur Verfügung stellen.

      Auch das kleine kirchliche Archiv in der Martinskirche, das einige wertvolle ältere Akten enthielt, wurde vernichtet. Etwas günstiger ist das Ergebnis bei der Kasseler Landesbibliothek, die schon 1941 bei einem kleineren Luftangriff in Flammen aufging. Der größte Teil der Bibliothek verbrannte. Aber die wertvollen Manuskripte der Bibliothek, die reiches familiengeschichtliches Material enthalten, konnten gerettet werden und sind im Marburger Staatsarchiv deponiert. Das wertvollste Gut der Landesbibliothek, das Manuskript des Hildebrandliedes, war in einem Bunker sichergestellt, wurde aber nach dem Zusammenbruch leider gestohlen.

      Verluste in den Archiven einzelner Pfarreien sind mir nicht bekannt geworden. Aber es hat sich gezeigt, daß für Kriegszeiten die Zentralisation in Kreiskirchenbuchstellen unter Umständen verhängnisvoll ist. Dafür ein Beispiel: In der Kirchenbuchstelle in Melsungen waren die Kirchenbücher aller Gemeinden des Kreises Melsungen gesammelt. Kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner wurde angeordnet, daß die Bücher aus dem Pfarrhaus in das Amtsgerichtsgebäude überführt würden. Bei der Beschießung Melsungens wurde gerade das Amtsgericht von Brandgranaten getroffen und die Kisten, in denen die Bücher verpackt waren, kohlten an den Ecken an. Leider wurden die beschädigten Bücher von dem verständnislosen Leiter der Aufräumungsarbeiten mit Mistgabeln auf den Schutt geworfen und abtransportiert. Zum Glück entdeckte der Leiter der Kirchenbuchstelle noch im letzten Augenblick, was geschehen war, und konnte etwa 90 % der beschädigten Bücher, die natürlich durch diese ver ächtliche Behandlung noch mehr gelitten haben, der Abraumstelle wieder entreißen. Leider ist aber gerade das älteste Spangenberger Kirchenbuch, das erst vor wenigen Jahren wieder entdeckt war, in Verlust geraten.

E. G.

2. Reg.-Bez. Wiesbaden (Nassau).

      Erfreulicherweise hat auch das Staatsarchiv Wiesbaden kaum Verluste an genealogisch interessierendem Quellenmaterial zu verzeichnen. Die Bestände des früheren Staatlichen Gausippenamtes Hessen-Nassau blieben zwar ebenfalls vor Kriegseinwirkungen verschont, unterstehen aber noch der Militärregierung und sind daher noch nicht zugänglich; aus seinen Sammlungen sind besonders zu erwähnen: Abschriften und Fotokopien von Kirchenbüchern, Zweitschriften von Zivilstandsregistern, Kirchenbuchkarteien mehrerer Kirchspiele, Manuskripte zu mehreren Dorfsippenbüchern, rund 1500 Personalakten, etwa 8000 Ahnen- und Sippentafeln, ferner Wappen- und Siegelsammlungen und die Fachbücherei. Außerdem waren dort Teile der Sammlungen des Forschungsdienstes „Rhein-Mainische Sippen“ deponiert.

      Demgegenüber sind die genealogischen Hilfsmittel in Frankfurt und Hanau sehr in Mitleidenschaft gezogen worden.

      In Frankfurt blieben alle Kirchenbücher von 1533 bis 1851, die rechtzeitig ausgelagert werden konnten, erhalten, ebenso die im Stadtarchiv verbliebenen Zweitbücher und die bei den einzelnen Pfarreien liegenden Kirchenbücher der Vororte. Auch die Zivilstandsregister 1851 bis 1875 sind verschont geblieben. Dagegen wurden die im Standesamt gelegenen Personenstandsregister 1875 bis 1944 ein Opfer des 22. 3. 1944; sie konnten jedoch durch die erhaltenen Zweitschriften wiederhergestellt und inzwischen fotografiert werden. Die für die Forschung wertvollen Familien-Attestate des Standesamtes entgingen den Brandbomben. In der Evang. Stadtsynode verbrannten sämtliche Kirchen- und Protokollbücher der Innenstadt 1851 bis 1899, die für Taufnachweise von Bedeutung waren.



Anmerkungen der GenWiki-Redaktion (GWR)

  1. Druckfehler in Textvorlage: Oberzehren
  2. Druckfehler in Textvorlage: Fettenhäuser