Herforder Chronik (1910)/060
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Stiftes auf dem Berge ein Fähnlein zum Zeichen des Beginns der „Vision“ auszustecken und zum Schluß wieder einzuholen.
Der erste Holzbau, eine schlichte Basilika, hat dem noch stehenden prachtvollen gotischen Bauwerk Platz gemacht, das schon die Aufmerksamkeit des kunstsinnigen Königs Friedrich Wilhelm IV. erregt hatte und seit seiner vollständigen Wiederherstellung und Ausschmückung ein Wallfahrtsort aller Kunstverständigen geworden ist. Als besonderen Schatz birgt es einen aus Stein gemeißelten Altaraufbau[1] von höchster Zierlichkeit und Feinheit der Ausführung, auf dessen äußerster und je einer Seitenspitze die Nachbildung einer Taube schwebt. Der auf dem Altar ruhende Unterteil des Aufsatzes umschließt den Stumpf jenes Baumes, auf dem sich die Taube niedergelassen haben soll. Im Mittelalter waren von dem Holze des Baumstumpfes Splitter als Mittel gegen allerlei Krankheiten, am meisten gegen Zahnschmerz, begehrt. Diese neue Kirche wurde Marienkirche genannt.
Die Äbtissin Gotesda sollte die Vollendung des von ihr begonnenen Herforder Kirchenbaues, des Münsters, nicht schauen, ja, man ist der Ansicht, daß von dem unter ihr begonnenen Bauwerk keine Reste auf unsere Zeit herüber gekommen seien[2]. Urkundliche Nachrichten über den Fortgang des Baues sind nur spärlich vorhanden, wenn aber die eben geäußerte Ansicht richtig ist, so muß der ursprüngliche Bauplan aus einem Grunde, den wir nicht kennen, aufgegeben worden sein. Manche Denkmale kirchlicher Baukunst damaliger Zeit sind nicht in einem Zuge vollendet worden, Jahrhunderte haben daran gearbeitet, lind die Kunstanschauungen verschiedener Zeiten, vielleicht auch andere Gesichtspunkte, bedingten neue Bauweisen. So ist es auch unserem Münster ergangen, das läßt sich erkennen, wenn man das Bauwerk auch nur oberflächlich betrachtet. Der Hauptteil ist in dem vor dem zwölften Jahrhundert als Richtschnur für kirchliche Bauten dienenden romanischen oder Rundbogenstil errichtet, während einige Anbauten den späteren sog. gotischen Stil mit Spitzbogen zeigen. Ein näheres Eingehen auf die verschiedenartige Architektur unserer Hauptkirche ersparen wir uns hier und verweisen den sich dafür interessierenden Leser auf die eingehende Arbeit des Herforder Architekten G. König. Nur sei es «erstattet, das Urteil des klassischen Kunsthistorikers W. Lübke anzuführen, der in seiner „Mittelalterlichen Kunst in Westfalen“ über die Münsterkirche sagt: „Mit Ausnahme der wenigen Spuren von einem Bau des zwölften Jahrhunderts, die sich an den östlichen Teilen finden, müssen wir den Kern des Baues, die Anlage der Schiffe mit ihren Pfeilern und Fenstern in die erste Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts setzen.“
König macht darauf aufmerksam, daß Lübke die Ähnlichkeit des Paderborner Domes mit unserer Münsterkirche erkannt hat, welche dieselbe Pfeilerbildung,