Herforder Chronik (1910)/041
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nämlich in damaliger Zeit eine geistliche Stiftung, eine Kirche, ihr Ansehen behaupten und heben, so mußte sie sich des Besitzes von Reliquien für die kirchliche Verehrung rühmen können. Unter Reliquien verstand und versteht die katholische Kirche noch heut die irdischen Überreste heiliger Personen, seien es einzelne Teile von deren Körpern, seien es die Körper ganz, d. h. alles, was zurückbleibt, wenn das Fleisch in Staub zerfallen ist, seien es endlich Dinge, die zu dem Leben der Heiligen in irgend einer Beziehung gestanden haben. Solcher Reliquien besaß unser Herford schon eine gute Zahl. Wilmans[1] hat in einem von ihm aufgefundenen Evangelienbuche des Klosters Herford, welches seiner Meinung nach dem Ende des 9. Jahrhunderts angehört, 23 Herforder Reliquien verzeichnet gefunden, darunter vom Kreuze Christi, von seinem Grabe, seinem Purpurmantel und seiner Krippe, dem Essigschwamm, vom Stabe Aarons, von den Steinen, mit denen Stephanus gesteinigt wurde, und noch andere von Aposteln, Märtyrern und Päpsten. Hervorgehoben ist aber die für das Marienstift Herford wichtigste Reliquie von dem Kleide der hl. Jungfrau Maria. Wilmans ist der Ansicht, daß unsere Kirche, eben weil sie eine Marienkirche war, noch mehr Reliquien von der hl. Jungfrau besessen haben muß.
Was der Kirche indessen noch fehlte, und worauf sie nach der Anschauung der Zeit den allerhöchsten Wert legte und legen mußte, war die Erlangung des ganzen Körpers einer heiligen Person, gleichviel, ob männlichen oder weiblichen Geschlechts. Das war nicht leicht, aber der Äbtissin Hedwig gelang es, dies Ziel zu erreichen. Sie war, wie der Bericht über die Translatio S. Pusinnae sagt[2], „durch die Beispiele ihrer Vorfahren gewissermaßen von den Stacheln der Nachahmung angetrieben, da sie wünschte, sowohl durch die Andacht heiliger Verehrung, als auch durch den Schutz von Heiligen das Kloster, welches sie übernommen, berühmt zu machen“, und „da sie im Lichte des Glaubens erwog, von welchem Werte es bei Gott sei, die Verdienste der Heiligen zu verehren und deren herrlichste Taten nachzuahmen, und von welchem Schütze deren hilfreiche Vermittlung sei, wurde sie mit allem Eifer getrieben“, von dem ihr verwandten König Karl dem Kahlen von Frankreich (843-877) den verehrten Leib einer Heiligen zu erbitten und zwar denjenigen der in Frankreich begrabenen hl. Pusinna. Sie baute auf die Hilfe des Königs einesteils, weil er ihr Verwandter war, andernteils, weil ihre „Vorfahren vielfach Verkehr und Freigebigkeit bei ihm genossen hatten.“ Außerdem glaubte sie der Unterstützung ihres Bruders Cobbo, der sich beständig am Hofe jenes Fürsten und in dessen Gefolge befand, sicher zu sein, und was sie ganz besonders in ihrem Vorhaben ermutigte, war der Umstand, daß sie schon oft von jenem König mit den kostbarsten Gaben beschenkt worden war. Inzwischen bemühten sich die Mittelspersonen Hedwigs, dem König ihre Bitten vorzutragen, und kaum war die Kunde von seiner Zustimmung nach Herford gedrungen, als die Äbtissin sofort einen Presbyter zum König absandte, um den Körper der hl. Pusinna in Empfang zu nehmen.