Handbuch der praktischen Genealogie/385
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Handbuch der praktischen Genealogie | |
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Band 2 Tafel: I • II • III • IV • V • VI • VII • VIII • IX • X • XI | |
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abhanden gekommen. Das ist ein Unglück, weil dadurch der Handarbeiterschaft das Gefühl der Zugehörigkeit zu dem Volksganzen verloren gegangen ist, so daß die sozialistische Einflüsterung vom Schicksal der Enterbten und der Unmöglichkeit wirtschaftlichen Aufsteigens willige Aufnahme findet. Wenn jeder Fabrikarbeiter die Verzweigung seiner Familie über nur drei bis vier Generationen hinweg wirklich kennen würde, dann müßte er lachen über die Behauptung, das sogenannte Proletariat sei eine selbständige Klasse, die mit den übrigen Schichten des Volkes in keinerlei Verbindung stehe, und nicht minder über den angeblichen internationalen Charakter des Proletarierbewußtseins. Gerade der einzelne Fabrikarbeiter hängt in Wirklichkeit als Mensch so stark an seinem engeren Vaterlande und an seiner Heimatsprovinz, daß er sich selbst in einer anderen Gegend Deutschlands nur sehr schwer einlebt. Innerhalb der engeren Heimat ziemlich beweglich, geht er nur ungern in weitere Ferne; geschieht es aus äußeren Gründen doch, dann reißt gerade wie beim Kleinbürgertum die Verbindung mit der Heimat bald ab, und es erfolgt eine Angleichung an die neue Umgebung. In Wirklichkeit gibt es nicht einmal ein gemeindeutsches proletarisches Empfinden; es gibt keine gesellschaftlich einheitliche deutsche Arbeiterklasse, sondern nur in jeder Landschaft eine Handarbeiterschaft mit einem einheitlichen geistigen Gepräge, so daß sich die Glieder wirklich untereinander verstehen. Die grundverschiedene Stellungnahme der nord- und süddeutschen Sozialdemokraten zu den praktischen Aufgaben der Politik beruht im letzten Grunde auf der verschiedenen Lebensauffassung, kraft deren die Klassenabsonderung im Süden längst nicht so weit gediehen ist wie im Norden. Lediglich wirtschaftliche Gründe sind dafür nicht maßgebend, sondern in viel höherem Maße, als es zunächst scheinen will, die geistige Haltung, für deren grundsätzliche Einheitlichkeit in größeren Gebieten die Familienverbindungen ausschlaggebend sind; nur so weit sie reichen, reicht auch die Einheitlichkeit der Lebensauffassung.
Dem Berufe nach ist die Klasse der Handarbeiter bunt zusammengewürfelt, aber Berufsgegensätze spielen gesellschaftlich nicht die geringste Rolle, weil dem Lohnarbeiter mangels der Fähigkeit zu abstraktem Denken das Interesse an seinem besonderen Berufe nicht zum Bewußtsein kommt. Eben deshalb fehlt es auch an dem oft gewünschten Solidaritätsgefühl zwischen industriellem und landwirtschaftlichem Arbeiter; der letztere hat Sinn und Interesse für seine Berufsarbeit. Dagegen gibt es einen neuen Gegensatz andrer Art, den zwischen gelernten und ungelernten Arbeitern, der dort, wo aus beruflichen Gründen die zweite Gruppe stark vertreten ist, zu einer schroffen Scheidung zwischen beiden und einem neuen Standesbewußtsein führt.
Fragt man danach, wie das Klassenbewußtsein der Handarbeiterschaft entstehen und eine objektiv falsche Lehre von den Wechselwirkungen im Gesellschaftsleben zeitigen konnte, so läßt sich die Antwort nur finden auf Grund der geistigen und seelischen Stimmungen des einzelnen Handarbeiters innerhalb einer größeren Organisation und der sozialpsychischen Wirkung,