Handbuch der praktischen Genealogie/383

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Handbuch der praktischen Genealogie
Inhalt
Band 2
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Politik treiben. Nur für das letztere ist der Beruf das Entscheidende, für die gesellschaftliche Zugehörigkeit dagegen Herkunft und Familienzusammenhang, durch die täglich der Bourgeoisie neue Elemente zuwachsen und ihr verloren gehen. Alle unsere politischen Parteien mit Ausnahme der Sozialdemokratie sind in ihren Führern und in der Mehrzahl ihrer Mitglieder „bürgerlich", und die übliche Charakteristik, die ihnen von den Sozialisten zuteil wird als der „einer einzigen reaktionären Masse", kennzeichnet das gesellschaftlich Gemeinsame aller durchaus zutreffend.

Die Mittelschichten.      Als Rest des alten städtischen Bürgertums, soweit dessen Glieder nicht in der eben genannten einheitlichen Oberschicht aufgingen, erscheint das sogenannte Kleinbürgertum, dem sich in den selbständigen Landwirten, den Nachfolgern und teilweise Nachkommen der einst an die Scholle gebundenen Pferdebauern, sowie in den zahlreichen beruflich ausgebildeten öffentlichen und privaten Beamten neue Zweige zugesellt haben. Alle drei sind durch die Bande der Verwandtschaft, der Lebenshaltung, der sittlichen Anschauung eng verbunden und bilden den sogenannten „Mittelstand“, und erst in zweiter Linie übt der wirtschaftliche Gegensatz seine trennende Wirkung aus; dieser scheidet die Güterverbraucher (Beamten oder umfassender: Festbesoldeten) von den städtischen (Gewerbetreibenden, Kleinhändlern) und ländlichen Gütererzeugern (Bauern), während der Widerspruch der Interessen zwischen Stadt und Land wiederum die Verbraucher und städtischen Gütererzeuger vereint den Bauern gegenüberstellt.

      So weit zeigt der Mittelstand ein Gesicht, das grundsätzlich dem der Bourgeoisie gleicht, aber in einem Punkte unterscheiden sich beide scharf. Der Mittelstand ist zwar in allen deutschen Provinzen vorhanden, aber in jeder Landschaft ein anderer, der einen selbständigen Charakter trägt. Der Mittelstand als gesellschaftliche Bildung umfaßt nicht ganz Deutschland, und zwar ist der Beweis dafür, daß sich die normalen Familienverbindungen auf die engere Landschaft beschränken.

      Die Mittelstandsbewegung trug deshalb von vornherein landschaftlichen Charakter, und wenn sich auch 1911 die bestehenden landschaftlichen Organisationen zu dem Reichsdeutschen Mittelstandsverband zusammenschlossen, um sich namentlich in Angelegenheiten, die der Reichsgesetzgebung unterstehen, besser zur Geltung zu bringen, so haben sie doch ihre Selbständigkeit bewahrt Im Gegensatz zu diesem Vorgange steht die Bildung des Hansabundes, dessen führende Mitglieder durchaus der Oberschicht angehören: hier entstand zuerst die große das ganze Reich umfassende Gesamtorganisation und innerhalb dieser erst wurden Ortsgruppen und Landesverbände ins Leben gerufen.

      Gewiß führt der Verkehr auch manche einzelne Glieder der Mittelschicht in andere Landesteile, aber durch eine solche Verpflanzung pflegen sie den Zusammenhang mit ihren Vettern daheim zu verlieren und gleichen sich ihrer neuen Umgebung mindestens in der nächsten Generation vollständig an. Die Lebenshaltung und Lebensgewohnheit des Mittelstandes ist in den verschiedenen Provinzen nicht entfernt so gleichartig wie in der Oberschicht, sondern weist nach Sprache, Speisezettel und Hauseinrichtung, ja sogar in der Beurteilung gesellschaftlicher und sittlicher Zustände, erhebliche Abweichungen