Handbuch der praktischen Genealogie/353
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Handbuch der praktischen Genealogie | |
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Band 2 Tafel: I • II • III • IV • V • VI • VII • VIII • IX • X • XI | |
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genannt und heirateten mit Vorliebe nur untereinander. Auch die großen Familien der staufischen Dienstmannen scheinen eine Zeitlang auf dem Wege zu einem ähnlichen Emporwachsen über die Geringeren. Aber zu rechtlicher Sonderung ist es nicht gekommen: das zeigt uns unzweideutig die genealogische Forschung über die einzelnen Familien. Die anscheinenden Merkmale rechtlicher Abschließung, von denen wir hören, sind der Ausdruck einer Ambition, die nicht wirklich erreicht wurde. Das Bedürfnis nach Rittern trat mit so elementarer Gewalt auf, daß es alle gesellschaftlichen Hemmungen überwand: in ganz Deutschland, auf großen und kleinen Herrschaften bildete sich eine überall doch im großen und ganzen gleichgestellte, rechtlich wenigstens nach oben und unten — dem Bauern und dem Dynasten gegenüber — in gleicher Weise abgesonderte ritterliche Standesklasse.
Die Frage, aus welcher Bevölkerungsschicht die einzelnen Geschlechter dieses niederen Ritteradels entsprossen sind, ist damit eigentlich schon beantwortet. Viele der ältesten und angesehensten sind ehemalige Ministerialen gewesen; ganze Gruppen lassen sich aber auch als ehemals Hörige, Bauern und Zinsbauern nachweisen; oder als Bürger der damals emporblühenden Städte. Burgmannen, die wir ihrem Ursprung nach z. T. wohl zu den hörigen Knechten rechnen müssen, stellen in ganz Deutschland ein starkes Kontingent. Dann kamen aber auch in einzelnen Gegenden freie kleine Grundbesitzer in Frage. Für diese war damals eine unangenehme Entscheidungszeit angebrochen. Das Reich verlangte ihren Militärdienst nicht mehr und kümmerte sich nicht mehr um sie. Sie waren also dem, der als Graf ihr Gerichtsherr war, ausgeliefert. Der Graf oder Markgraf oder Herzog durfte sie allerdings vorläufig nicht für sich zum Militärdienst verwenden. Ziemlich unbehelligt, „frei", wie man noch lange sagte, haben manche von ihnen in angesehener kleingutsherrlicher Lage fortgelebt, bis sie in späteren Jahrhunderten durch die landesfürstlichen Beamten auf dem Wege der Steigerung der Steuern langsam zu bäuerlichen Untertanen herabgedrückt wurden. Andere aber zogen es vor, sich durch Ergebung an einen großen Herrn die Möglichkeit ritterlichen Lebens zu erkaufen. Aus zahlreichen Urkunden der geistlichen Herrschaften (in den weltlichen wurden keine derartigen Urkunden aufgenommen) wissen wir, daß solche Familien sich in die Abhängigkeit der Großgrundherren begaben. Sie wurden da freudig aufgenommen. Man reihte sie den Ministerialen, den vornehmsten und selbständigsten Hintersassen, bei, gab ihnen noch Gutsbesitz als Lehen zu dem, den sie mitbrachten, hinzu: sie wurden dafür Ritter ihres neuen Herrn.
Diesen Vorgang, der in einzelnen Fällen ganz klar und zweiffellos festzustellen ist, hat ein neuerer Forscher, Wittich, derart verallgemeinern wollen, daß er meinte, die ganze große Masse des mittelalterlichen niederen Ritteradels stamme von solchen freien Grundbesitzern; eine Behauptung, die dadurch noch besondere Tragweite bekam, daß die Forschung bisher nicht prinzipiell zwischen den Dynasten und den kleinen freien Gutsbesitzern unterschieden, sondern die beiden Gruppen als eine institutionell, d. h. verfassungsrechtlich ungetrennte Klasse als freie Herren einander gleichgestellt