Handbuch der praktischen Genealogie/348

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Handbuch der praktischen Genealogie
Inhalt
Band 2
Tafel: I • II • III • IV • V • VI • VII • VIII • IX • X • XI
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daß die Lehnsfähigkeit auf größere Volksbestandteile ausgedehnt wurde. Ohne genealogische Anhaltspunkte werden wir da nicht klarer sehen lernen. Ebenso wichtig ist die Frage nach der Vererbung der öffentlichen Ämter, vor allem des Grafen- und des Vogtamtes. Wann war die Erblichkeit so weit durchgedrungen, daß auch der Unmündige die Stellung des Vaters (natürlich unter Vormundschaft) einzunehmen pflegte? Auch da wird allein die Genealogie uns aufklären. Aber weiter: Vergleicht man die rekonstruierten Familien und ihren Grundbesitz und ihre Ämter mit der höchstmöglichen Zahl von Großgrundherrschaften, die es im dünnbevölkerten damaligen Deutschland überhaupt gegeben haben kann, so stellt sich heraus, daß der Kreis der dynastischen Grundherren recht klein war. Und dann rücken plötzlich die vielen Nachrichten in ein besonderes Licht, die uns sagen, daß der und jener Dynast ein Blutsverwandter (Consanguineus, Nepos) eines besonders bekannten Fürsten oder eines Kaisers gewesen sei; es war eben der damalige Adel eine recht kleine Gruppe durch (vermutlich ausschließliches) Connubium eng verbundener Familien, also eine Kaste in des Wortes strengstem Sinne; und Deutschland war damals viel eher eine Aristokratie als eine Monarchie.

      Durch einfaches Zusammenhalten der Ahnentafeln der verschiedenen deutschen Könige bis Ende des Mittelalters habe ich gefunden, daß sie alle relativ nah miteinander verwandt waren; relativ: man muß in Betracht ziehen, daß Verwandtenheiraten im Mittelalter selbst bei recht entfernter Blutsverwandtschaft von der Kirche nicht geduldet wurden. Die allgemeine tatsächliche Blutsverwandtschaft der Magnaten untereinander liegt also meist jenseits dieser Grenze — weiter zurück wie bei unserem heutigen europäischen Fürstenkreise. Jeder Kaiser aus neuem Hause, der auf den Thron kam, war ein „Vetter" des vorigen und vorvorigen. Auch das zeigt uns die Aristokratie, aus der einer — der gerade Bestgeeignete — zum König, also gewissermaßen zum Präsidenten gewählt wurde, ungefähr wie zur Zeit des alten germanischen Königtums! Ja selbst die altgermanische Regel, daß der König aus der edelsten „Genealogie" gewählt werden soll, glaube ich auch für die Kaiserzeit durch die einfache genealogische Feststellung nachgewiesen zu haben, daß tatsächlich alle Nachfolger Karls des Großen auf dem Throne in weiblicher Linie sehr wahrscheinlich wenigstens seine Nachkommen waren; und die Nachfolger Heinrichs I. aus dessen Blute hervorgegangen waren.[1] Es wird gewiß einmal gelingen, alle solche Beobachtungen und manche andere verwandte in systematischer Zusammenstellung zu vereinen, und dann werden sie das Rückgrat eines völlig neuen Aufbaues unserer Verfassungsgeschichte der früheren Kaiserzeit bilden.


  1. Diese Regel, daß der König aus dem Blute des Gründers der ersten Königsdynastie sein soll — wenn nicht sein muß —, findet sich übrigens nicht nur bei allen germanischen Völkern, sondern auch bei den Slawen und sogar in besonders bestimmter Betonung bei den Ungarn und bei asiatischen Völkern.