Handbuch der praktischen Genealogie/338
GenWiki - Digitale Bibliothek | |
---|---|
Handbuch der praktischen Genealogie | |
Inhalt | |
Band 2 Tafel: I • II • III • IV • V • VI • VII • VIII • IX • X • XI | |
<<<Vorherige Seite [337] |
Nächste Seite>>> [339] |
Hilfe zur Nutzung von DjVu-Dateien | |
Texterfassung: korrigiert | |
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Bevor dieser Text als fertig markiert werden kann, ist jedoch noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
|
I. Die Genealogie im germanischen Recht.
Die Genealogie im germanischen Recht. Zu der Zeit, wo die Germanen für uns Rückblickende auf dem Schauplatz der Geschichte auftauchen, waren in ihrem staatlichen Ordnungszustand bereits bestimmte genealogische Regeln maßgebend. Es gab privilegierte Geschlechter, aus denen die germanischen Völkerschaften ihre Präsidenten im Frieden, ihre Herzöge im Kriege wählten. Inwiefern diese Geschlechter eine rechtliche Sonderstellung einnahmen, läßt sich aus den dürftigen Quellen, vor allem den Bemerkungen Cäsars über die Germanen, nicht mit voller Bestimmtheit herauslesen. Wenn Cäsar von „principes" spricht, so haben manche daraus auf einen besonderen Adelsstand geschlossen; andere Gelehrte haben vorsichtiger übersetzt: die „ersten", die „vornehmsten" der Völkerschaft. Ein wenig Tendenz spielte da oft bei der Übersetzungskunst mit. Unter dem Einfluß der Ideen Rousseaus glaubte man zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, als man begann, kritisch rechtshistorische Maßstäbe an die Nachrichten vom altgermanischen Leben anzulegen, im Staatswesen der germanischen Völkerschaft eine Art idealer Demokratie verwirklicht zu sehen: eine fortdauernd gleichmäßige Aufteilung der privaten und öffentlichen Rechte an die Volksgenossen. Unter dem Eindruck dieser Anschauungen kam man dazu, den Ursprung der im Mittelalter auftauchenden Markgenossenschaft in die älteste germanische Zeit zurückzuverlegen: in der Markgenossenschaft wollte man Reste einer solchen ideal-demokratischen Gütergemeinschaft erkennen. Für einen Adel in der ältesten Zeit blieb dann kein Raum.
Neustens ist nun diese Theorie der alten Markgenossenschaft mehrfach als irrig angegriffen und (das Verdienst gebührt dem Wiener Historiker Dopsch) im wesentlichen als unhaltbar widerlegt worden. Damit wäre von neuem Platz geschaffen für einen Adel im germanischen Völkerschaftsstaat. Allein an eine juristische Struktur dieses Adels wird man deshalb doch nicht denken dürfen. Einen Adel, der an der Hand genealogischer Verknüpfung bestimmte Menschen (eben die Abkömmlinge der adeligen Geschlechter) in eine bestimmte, privilegierte Rechtslage brachte, bildeten jene germanischen principes gewiß nicht. Was wir als eigentlichen Inhalt des Adelsbegriffes heute (und seit langem schon und allgemein bei allen Völkern) ansehen: daß die genealogische Zugehörigkeit zu bestimmten Familien genügt, um den Abkömmlingen von Geburt an eine privilegierte Rechtsstellung zu geben, das ist eine Einrichtung, die einen kompliziert geordneten Rechtsstaat mit starkem Rechtsformalismus voraussetzt. Einen solchen Staat bildeten die wenig zivilisierten germanischen Völkerschaften vor der Zeit ihrer festen Ansiedelung, als sie noch Hirten- und Jägerstämme waren, nicht. Solange die wirtschaftliche Konsolidation, die privates Grundeigentum oder wenigstens regelmäßigen Ackerbau voraussetzt, noch nicht durchgeführt ist, fehlen auch die materiellen Grundlagen für einen öffentlich-rechtlich anerkannten und gesicherten Adelsstand. Wo immer sich eine Standesschicht mit besonderen, allgemein anerkannten Vorrechten ausbildet, geht voraus