Handbuch der praktischen Genealogie/335
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Handbuch der praktischen Genealogie | |
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Genealogie und Rechtswissenschaft.
Von Otto Freiherrn von Dungern, Professor an der Universität Czernowitz.
Genealogie und Rechtswissenschaft: Einleitung.MENSCHEN, die miteinander blutsverwandt sind, stehen sich näher wie die nächsten Freunde, wie Schicksalsgenossen oder langjährige nahe Nachbarn. Das ist eine uralte, allen Völkern fest eingewurzelte Empfindung. Wenn uns das Leben vor irgendeinen Fall stellt, in welchem diese Empfindung überwunden wird durch entgegengesetzte Maßnahmen — etwa daß ein Kaufmann seinen Teilhaber oder ein Kranker seine Pflegerin zur Erbin einsetzt und die Verwandten leer ausgehen —, so regt sich in uns bei allem Verständnis für derartige Rücksichtnahme doch immer etwas Widerspruchssinn; und wenn umgekehrt etwa der Tod einen Menschen aus einem intimen Hausgenossen- oder Freundeskreis herausnimmt und entfernte Verwandte erscheinen und den ganzen Nachlaß an sich nehmen, so scheint uns das gar nicht auffallend. Selbst im modernen Leben der Kulturvölker, das die nächsten Angehörigen je nach ihrem Beruf mitunter weit auseinander bringt und einander entfremdet, herrscht doch der Gedanke der Zusammengehörigkeit dem Blute nach. Jedenfalls tragen alle modernen Güterrechtsordnungen diesem Gedanken bis heute genau so deutlich Rechnung wie in früheren Zeiten, da eine Familie auch stets eine Besitz- und Wirtschaftsgemeinschaft bildete, da Verwandtschaft stets Nachbarschaft und Interessengleichheit zur Folge hatte.
Auch strafrechtlich ist Verwandtschaft heute genau wie in ältesten Zeiten von Bedeutung; bald als Milderungsgrund, bald als erschwerendes Moment. Nicht minder nimmt das Prozeßrecht in einer Reihe von Bestimmungen auf Verwandtschaftsverhältnisse Rücksicht.
Endlich spielen die Beziehungen des Blutes eine große Rolle im geltenden Verfassungsrecht der monarchischen Staaten. Das Thronfolgerecht ist heute überall aufgebaut auf Abstammung von einem bestimmten Souverän, Abstammung in männlicher oder wenigstens in weiblicher Linie. Auch für das Regentschaftsrecht ist meist die Zugehörigkeit zum regierenden Hause maßgebend. Selbst für die jüngeren Mitglieder des Hauses alle miteinander hat das moderne Staatsrecht vieler Staaten eine Sonderstellung geschaffen: Sitz im Parlament, Recht auf besondere finanzielle Bezüge, besonderen Rang usw.
Überall, wo in dieser Weise Familienzugehörigkeit Rechte begründet, spielt die Genealogie eine Rolle. Sie lehrt uns ja nicht nur Filiationsnachweise aufzustellen und Verwandtschaftsgrade zu berechnen; sie sagt uns auch, wann eine Filiation, eine Verwandtschaft rechtsbegründend in Betracht gezogen werden muß, wann nicht; sie sagt uns dies in manchen Fällen, in denen der Wortlaut unserer Gesetze nicht genügen würde, um auftauchende Zweifel zu beheben. Zwar ist heute durch die deutsche bürgerliche Gesetzgebung