Handbuch der praktischen Genealogie/271
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Handbuch der praktischen Genealogie | |
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Band 2 Tafel: I • II • III • IV • V • VI • VII • VIII • IX • X • XI | |
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öffnen zu lassen, wie es ja auch mehrere Könige mit den Grabstätten ihrer Ahnen gemacht haben. Sie fand einzelne davon so wohl und ganz erhalten, daß sie die Formen genau erkennen konnte, darunter auch die Mundform ihres Angesichts. Worauf sie plötzlich ausrief: ‚Ha! Ich glaubte, daß wir unsere Mundform von den Österreichern hatten, aber, wie ich sehe, haben wir sie von Marie von Burgund, unserer Ahnfrau, und den anderen Burgundischen Herzögen, unseren Ahnen. Wenn ich den Kaiser, meinen Bruder, wiedersehe, werde ich ihm das erzählen, auch werde ich es ihm mitteilen‘. Jene Dame, die damals dabei war, sagte mir, daß sie das selbst gehört habe.“
Brantôme ist um 1540 geboren gewesen und † 1614. Die große Königin Marie mit dem Habsburgischen Gesicht, von der er spricht, ist Marie aus dem Geschlechte der Medici, Witwe König Heinrichs IV. von Frankreich, der bekanntlich 1610 einem Mörder zum Opfer fiel. Sie selbst † 1642. Sie war eine Enkelin Kaiser Ferdinands I. Die Königin Eleonore, Schwester des Kaisers, von der Brantôme spricht, ist die Tochter Philipps des Schönen, Schwester Kaiser Karls V., Enkelin also der Maria von Burgund, im J. 1530 mit Franz I. von Frankreich vermählt, der 1547 †. Sie selbst † 1558. Brantôme kann also sehr wohl eine Dame des Hofes, die bei der Gruftöffnung in Dijon Ohren- und Augenzeugin war, persönlich gekannt haben. Daß jedenfalls Philipp der Schöne, der Sohn der burgundischen Maria, entgegen der in diesem Punkte völlig irrtümlichen Ansicht des Grafen Zichy ganz außergewöhnlich starke Lippen gehabt hat, geht aus mehreren zeitgenössischen Gemälden und Miniaturen erster Meister hervor.
Es wäre ein bemerkenswertes Zusammentreffen, wenn dem Habsburgischen Hause von dem Burgundischen nicht nur der gewaltige Reichtum und die Ländervermehrung, nicht nur die ganze, feine niederländische Kultur, nicht nur das Hofzeremoniell, nicht nur das „Goldene Vlies“, sondern auch ein Familientypus überkommen wäre, dessen Spuren sich bis in die Gegenwart deutlich verfolgen lassen.
Das bereits genannte Buch von Rubbrecht, L'origine du type familial de la maison de Habsbourg bestreitet die burgundische Herkunft des vorgeschobenen Unterkiefers.
Auch der Haller Universitätsprofessor Haecker, Verfasser eines Werkes über Allgemeine Vererbungslehre (2. Aufl., Braunschweig 1912) sowie eines Aufsatzes „Der Familientypus d. Habsburger“ (Zeitschr. f. induktive Abstammungs- u. Vererbungslehre, Bd. 6, 1911) und eines Vortrages über die Habsburger Unterlippe (Verhdlgn. d. deutschen zoologischen Gsft., 1911) ist der Ansicht, daß die „Habsburger Lippe“ nicht von der burgundischen Verwandtschaft stammt, sondern eine ausschließlich habsburgische Eigenschaft ist. Schon ein Bild Ernsts des Eisernen, des Vaters des römisch-deutschen Kaisers Friedrich III., weist die beiden besonders hervortretenden Merkmale, die dicke Unterlippe und den starken Unterkiefer, auf. Von ihm ab findet sich dieser Familientypus mehr oder minder deutlich bei allen männlichen Habsburgern bis ins 19. Jht. hinein; besonders stark trat er hervor bei den spanischen Habsburgern, bei Kaiser Leopold I. (1658-1705) und bei dem Erzherzog Albrecht, dem Sieger von Custozza (1866).
Im Gegensatz zur Annahme von Lorenz zeigen auch zahlreiche weibliche