Erziehung im XX. Jahrhundert/010
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erster Linie vorgebildet werden sollten. Hierin liegt für die Gegenwart und Zukunft das eigentliche Problem der Bildung des weiblichen Geschlechtes, nicht im
Frauenstudium oder in der Erkämpfung von Frauenrechten und Berechtigungen!
Das später zu berührende Kapitel der Mädchenerziehung wird uns Gelegenheit
geben, auf diese Frage noch einmal zurückzukommen.
Auch wenn vorausgesetzt werden kann, dass die Mütter die ihnen obliegenden Erziehungsaufgaben erfüllen können, so ist es doch vor allem notwendig, dass sie dieser Verpflichtung auch nachkommen wollen. Mit dem Vorwurfe, dass dies zuweilen nicht der Fall ist, richten wir uns in erster Linie gegen weit verbreitete Untugenden in unsern oberen Ständen. Wie häufig müssen da die jungen Mütter über den »geselligen Verpflichtungen« und Vergnügungen die so viel wichtigeren Mutterpflichten versäumen und gehen damit nicht nur der reinsten Freuden verlustig, die eine junge Frau haben kann, sondern setzen zugleich ihre Kinder den grössten Schädigungen und Gefahren aus. Pestalozzi, der grosse Sozialpädagog, den man freilich in unsern nicht pädagogischen Kreisen noch viel zu wenig kennt, hat gerade auf die unersetzliche Wirksamkeit der Mutter in der ersten Erziehung so oft und nachdrücklich hingewiesen. »Jeder Bissen Brot«, sagt er, »den das Kind isst, wird, wenn die liebende Mutter ihn in die Hand gibt, für seine Bildung zur Liebe und Tätigkeit etwas ganz anderes bedeuten, als wenn es diesen Bissen von fremder Hand empfängt.« Damit drückt er in anschaulicher Weise aus, ein wie unermesslicher Segen für das Kind darin liegt, dass es soviel' als möglich von der sorgsamen Hand der Mutter gepflegt wird und dass es unter ihren Augen heranwächst. Wenn man Pestalozzi vorgeworfen hat, dass er die Mütter und das, was sie in der Erziehung leisten, überschätzt und idealisiert habe, so ist das in Wirklichkeit kein Vorwurf gegen ihn, sondern ein solcher gegen die Mütter unserer Zeit, von denen leider nur allzuwenige dem Ideale eines Pestalozzi nachkommen. Auch Jean Paul, der mit dem feinen Empfinden des Dichters die Erziehungsfragen in seiner »Levana« behandelt hat, stellt hohe Anforderungen an die Mütter und richtet ernste Mahnungen an sie, indem er ihnen zuruft: »Ihr wollt recht stark geliebt sein, Weiber, und recht lange und bis in den Tod: Nun, so seid Mütter eurer Kinder!« Den gewissenlosen Müttern aber, die vor lauter Vergnügungen keine Zeit für ihre Kinder haben, gilt sein hartes Wort: »Verächtlich ist eine Frau, die Langeweile haben kann, wenn sie Kinder hat«. Jean Paul erinnert auch die Väter an ihre Pflichten. Sehr häufig — und das gilt für alle Stände — sind sich die Väter der schweren Aufgabe gar nicht bewusst, die die junge Mutter durch die erste Erziehung des Kindes zu leisten hat. Möchten doch alle Väter seine Mahnung beherzigen: »Was kann der Mann tun? Zu allererst seine Frau mehr lieben und belohnen, damit sie die schwerste Erziehung, die erste, durch doppelte Unterstützung leichter durchführe, durch Kindes- und Gattenliebe«.
Aber auch in dem günstigsten Falle, den wir für die Möglichkeit einer guten Erziehung annehmen können: dass Vater und Mutter mit gleichem Ernste ihre Erzieherpflicht auffassen und in gleicher Weise befähigt sind, sie zu erfüllen, ist doch noch lange nicht die Gewähr gegeben, dass ihre Erziehertätigkeit auch zu dem gewünschten Erfolge führt.
Es kommen dabei noch andere Einflüsse in Frage, die oft schwer festzustellen und noch viel schwerer zu beseitigen sind. Im biblischen Gleichnis heisst es, »dass ein Mensch guten Samen auf seinen Acker säete. Da aber die Leute schliefen, kam sein Feind, säete Unkraut unter den Weizen und ging