Die Probstei in Wort und Bild/103

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Die Probstei in Wort und Bild
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Probstei in Wort und Bild.djvu
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Von den National-Eigentümlichkeiten der Probsteier.

Allgemeine Bemerkungen.

Ich muß, meine innigste Ueberzeugung fordert es, diesen Abschnitt mit einer wehmütigen Klage beginnen. Sehr vieles, ja das meiste von dem, was ich hier schildern werde, ist Erinnerung aus einer vergangenen und, nach meinem Gefühl, glücklicheren Zeit. Es war lange, und, nach meinem Urteile, sehr ehrenvoller Charakter der alten Probsteier, daß sie auf ihre Nationaleigentümlichkeiten hielten und von einem gewissen Gefühl für sie ganz beseelt und innig durchdrungen waren. Noch, als ich 1784 die Probstei zuerst genauer kennen lernte, war mit dem Prädikat höfisch, womit man alle Nichtprobsteier bezeichnete, etwas Herabsetzendes, oder doch wenigstens der Begriff eines negativen Vorzuges verbunden, dem der Probsteier seinem Volke nicht wünschte, von seinem Boden entfernt und seinen Gebräuchen und Sitten fremd erhalten wollte. Die Ausdrücke: Een höfschen Keerl, een höfsche Deern, een höfsch Minsch, höfsche Dracht! wurden immer mit einem gewissen Nationalstolz ausgesprochen. Und selbst der Blick des Probsteiers besagte: Ich bin ja doch viel mehr, denn sie. Mit sorgfältiger Vorsicht, ja, ich darf sagen, mit Aengstlichkeit vermied man jede Vermischung mit Nichtprobsteiern. Der junge Probsteier verließ, selbst wenn er reich war, fast nie, oder doch höchst ungern, den geliebten väterlichen Boden, um sich auswärts anzukaufen. Kein Probsteier Mädchen folgte einem höfischen Manne, um eine Eheverbindung zu schließen, die sie von der geliebten Heimat getrennt hätte. Und wenn sie es gewagt, wenn Neigung für einen jungen Fremdling oder die Aussicht auf ein vorzügliches Auskommen die innige Anhänglichkeitan ihre heimischen Fluren (ich kann sie nicht Nationalvorurteil nennen) besiegt hätte: so wäre diese Verbindung für die ganze Probstei ein Gegenstand der Verwunderung, vielleicht der Furcht, wohl gar der Geringschätzung geworden, wenigstens allgemein als etwas sehr Gewagtes beurteilt und angesehen worden. Selbst bei den nächtlichen Besuchen der Mädchen wurden keine Höfische zugelassen, oder wenn vertraute Bekanntschaft mit mehreren jungen Mannspersonen (Jugens in der Sprache der Probsteier) einem Fremden einmal die hohe Ehre verschaffte, eine nächtliche Schwärmerei auf die Dörfer mitzumachen: so blieb er nur entfernter Zeuge, und durfte sich nicht die geringste Vertraulichkeit erlauben. Die Dirne, welche sich einen vertrauten Umgang mit Höfischen erlaubte, wurde nicht wieder von jungen Probsteiern besucht, ward Gegenstand der Verachtung und mit entehrenden Schimpfnamen belegt. Wer sich die kleinste Abweichung vom Nationalen in seiner Kleidung erlaubte, bei seiner Tracht etwas von höfischer Sitte anbringen wollte, wurde „nothöfsch“genannt und als solcher verspottet. Die Nationalverbindung war eng und innig, und allem Nationalen war in der allgemeinen Stimmung eine gewisse Unverletzlichkeit beigelegt. Wie hat sich dieses in einem Zeitraum von 30 Jahren verändert! Wie ganz anders, anders ist es jetzt! Aber besser? In mancher Hinsicht allerdings, aber wahrlich mit den Nationaleigentümlichkeiten ist auch mancher sehr wesentliche, sehr wahre Vorzug hingeschwunden, und besonders wägt der Gewinn an äußerer Verfeinerung den Verlust an einfachen, natürlichen und reinen Sitten nicht auf. Ich bin weit davon entfernt, die vorigen Zeiten zum Nachteil der gegenwärtigen zu preisen, vielmehr zwingen mich meine Grundsätze und meine Gefühle gleich stark zur dankbaren Anerkennung jedes wahren Vorzugs unserer Zeit, auch ist mir der Glaube an einen Fortschritt der Menschheit kein süßer Wahn, sondern aufs innigste mit meinen heiligsten Ueberzeugungen verwebt; allein ich kann das Hinschwinden der Nationaleigentümlichkeiten bei meinen lieben Probsteiern nicht anders als betrauern.

Ich räume es gern ein, daß es sehr nachteilig werden könne, wenn ein Volk in dem weichen Schoße seiner Selbstzufriedenheit sich nicht die Mühe giebt, zu untersuchen, ob andere nicht