Deutsche und französische Kultur im Elsass/079

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Deutsche und französische Kultur im Elsass
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Kunst erreicht. Es besteht also immer eine gewisse Inferiorität, besonders nach der formalen Seite hin, gegenüber den beiden wichtigsten Kunstvölkern der neueren Zeit. Auch hier scheint die Tradition aus der antiken Kultur für das Übergewicht der romanischen Völker entscheidend zu sein. Denn diese ist von dem deutschen Volk niemals in dem Umfang rezipiert worden, in dem diese beiden Völker sie besessen haben. Auch mögen gewisse natürliche Grundanlagen, die Lebhaftigkeit des Sinnenlebens bei dem Romanen und die für sinnliche Eindrücke weniger empfängliche Natur des Germanen, bei dieser Verschiedenheit eine Rolle spielen. Aber der Niedergang der sinnlichen Kultur des deutschen Volkes und ihr Tiefstand im 19. Jahrhundert können nicht auf diese Ursachen zurückgeführt werden. Gerade in der neueren Entwickelung des deutschen Volkslebens hat die sinnliche Kultur so sehr Not gelitten, und daher müssen auch in dieser die schädlichen Einflüsse gesucht werden.

Zunächst ist die sinnliche Kultur Deutschlands, die gerade zu Beginn des 16. Jahrhunderts auf einem Höhepunkt stand, durch die Kirchenreformation in ihrer Blüte geknickt worden. Diese gewaltige Bewegung, die alle Geister dem Nachdenken über Gott und Ewigkeit wieder zuwandte, musste das Volk den irdischen Freuden entfremden. Gerade das reichsstädtische Bürgertum, der wichtigste Träger der Sinnenkultur im Volke, wurde von der Reformation am stärksten ergriffen. Während die geistige Kultur, das Unterrichtswesen und die Wissenschaft, durch die Reformation eine unberechenbare Förderung erfuhren, ist die sinnliche Kultur durch die Ablenkung der Geister auf das religiöse Gebiet schwer geschädigt worden. Aber auch das deutsche Volk hätte, nachdem die innere Erschütterung durch die Reformation gewichen war, ebenso wie das holländische den Weg zur sinnlichen Kultur wiedergefunden, wenn dieser nicht ein neuer schlimmerer Feind erstanden wäre. Die sinnliche Kultur ist ein Kind des Reichtums. Ohne den wirtschaftlichen Überfluss ist die Pflege der bildenden Kunst so wenig wie die künstlerische Gestaltung des Hauswesens, der Kleidung, kurz der ganzen materiellen Bedürfnisbefriedigung möglich. Nun verliess gerade seit dem Ende des 16. Jahrhunderts der Welthandel seine alten durch Deutschland führenden Strassen, die furchtbaren Kriege des 17. Jahrhunderts zogen verheerend über ganz Deutschland hin und besiegelten dessen politische Zerrissenheit und Ohnmacht. Gerade die ober- und mitteldeutschen Gebiete, die Pflegestätten der sinnlichen Kultur, und das oberdeutsche und rheinische Stadtbürgertum, der bevorzugte Träger derselben, verarmten völlig. Die schon durch die Reformation der sinnlichen Kultur abgewandten Geister wurden ihr durch die allgemeine Armut immer mehr entfremdet. Nur an den Höfen der jetzt allmächtigen Landesherren, besonders der geistlichen Fürsten Süddeutschlands, blühten noch eine allerdings stark vom Ausland beeinflusste bildende Kunst und verfeinerte Lebensführung. Wohl sind hier auf deutschem Boden von deutschen Künstlern bedeutende Kunstwerke geschaffen worden, aber die Masse des Volkes, das Bürgertum und auch der grösste Teil des Adels und der Beamtenschaft, nahm nicht mehr Teil daran. Zu schwer lastete die Not der Zeit auf den schon aus religiösen Gründen meist der Weltfreude abgeneigten Gemütern. In diesen trüben Zeiten des 17. und 18. Jahrhunderts ging der Masse

Bildunterschrift:
P. Braunagel: Modistin