Deutsche und französische Kultur im Elsass/049
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Deutschen im Elsass und der Elsässer in Deutschland eine gewisse Rolle. Auch die Niederlage der freiheitlichen Bewegung im benachbarten Baden trieb manchen Flüchtling über den Rhein, der dann im Elsass eine Heimat fand. Diese Einwanderer brachten es meist als Kaufleute oder in gelehrten Berufen zu einer geachteten Stellung. Dagegen stammen die grossen Fabrikantenfamilien des Ober-Elsasses und der Gebirgsthäler nur ganz ausnahmsweise von altdeutschen Einwanderern ab.
Wer so aus irgend einem Grunde im Lande sesshaft wurde, der angesiedelte Fabrikarbeiter sowohl wie der zu Wohlhabenheit und Ansehen gelangte Kaufmann, nahm entweder selbst die französische Staatsangehörigkeit an, oder aber seine Kinder liessen sich naturalisieren. Natürlich wurden solche Einwanderer ebenso gute Franzosen wie die alteingeborenen Elsässer selbst. Nur ganz ausnahmsweise hielten die eingewanderten deutschen Familien länger als eine Generation an ihrer Nationalität und Staatsangehörigkeit fest. Wohl der grössere Teil der altdeutschen Bevölkerung des Elsasses vor dem Jahre 1870 bestand aber aus zeitweise anwesenden Arbeitern und Dienstboten, die, ähnlich wie heute die russisch-polnischen Wanderarbeiter den Osten Deutschlands, damals das Elsass als Land höherer wirtschaftlicher Kultur und besserer Arbeitsbedingungen aufsuchten und dann nach kürzerem oder längerem Aufenthalt daselbst wieder in ihre Heimat zurückkehrten. Die deutsche Bevölkerung des Elsasses vor dem Jahre 1870 war also wohl nur zum kleineren Teil daselbst sesshaft; soweit sie aber sesshaft war, befand sie sich in einem mehr oder minder weit vorgeschrittenen Verschmelzungsprozess mit den Eingeborenen. Wie man aus dem Gesagten leicht ersieht, konnte die deutsche Bevölkerung des Elsasses vor dem Jahre 1870 trotz ihrer verhältnismässig bedeutenden Zahl als Trägerin deutscher Kultur nicht in Betracht kommen.
Diese Verhältnisse änderten sich nun völlig mit der Einverleibung des Elsasses in das deutsche Reich. Allerdings änderten sich die bestehenden Wanderungstendenzen nicht, ja sie erfuhren durch die Annexion eine bedeutende Verstärkung. In den 20 Jahren von 1870 bis 1890 verliess eine gewaltige Anzahl von Elsässern ihre Heimat und wandte sich zum weitaus grössten Teil nach Frankreich. Eine genaue Feststellung der Anzahl dieser Auswanderer ist nicht möglich, jedoch betrug sie nach statistischen Berechnungen im Minimum 180 000, war aber wahrscheinlich bedeutend höher.
Aber diese Auswanderung gewann seit der Annexion einen ganz anderen Charakter als zur französischen Zeit. Während damals in erster Linie die sozial niedrigstehende Bevölkerung, also Arbeiter und Dienstboten, nach dem Innern abgewandert war, griff jetzt umgekehrt die hohe Bourgeoisie, der Stand der Notabeln, zum Wanderstab. Denn gerade die sozial hochstehenden Klassen der Bevölkerung waren am innigsten mit der französischen Kultur und Nation verwachsen, und nur sie konnten es sich, allerdings nur unter schweren Opfern, erlauben, durch Wechsel des Wohnsitzes die angeborene Nationalität zu bewahren. Vor der Annexion war das arbeitsuchende Volk, dem höheren Arbeitslohn nachziehend, aus wirtschaftlichen Gründen abgewandert, jetzt wanderten wirtschaftlich ganz unabhängige Notabeln politischer Gründe halber aus.
- Bildunterschrift:
- A. KOERTTGÉ: Wand-Brunnen im Hof, Alte Korngasse 5 in Strassburg.