Deutsche und französische Kultur im Elsass/042

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Deutsche und französische Kultur im Elsass
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Bildunterschrift:
v. SEEBACH: Strassburger Gänseleber-Pastetenbäcker.

der Wagen, die Livrée des Kutschers, das Geschirr und womöglich auch die Pferde selbst sind nach neuester Pariser Mode adjustiert. So ist die ganze sinnliche Kultur des Elsässers, soweit er überhaupt sich einer solchen erfreut, französisch oder von Frankreich massgebend beeinflusst. Welche Bedeutung diese Thatsache besitzt, ergiebt sich aus folgender Überlegung. Selbst in Ländern mit relativ hoher geistiger Kultur, wie Deutschland und England, spielt die sinnliche Kultur eine grosse, meist unterschätzte Rolle. Denn glücklicherweise ist kein Volk so gebildet, dass es in seiner grossen Masse durch die sinnlichen Eindrücke nicht am stärksten beeinflusst würde. Wie gross aber die Bedeutung dieser Kultur in einer Bevölkerung sein muss, die durch eine eigentümliche Verkettung der Umstände keiner hohen Geisteskultur teilhaftig geworden ist, liegt auf der Hand. Hier ersetzt sie eben so ziemlich diese fehlende Geisteskultur und bildet das höhere Ziel aller Wünsche und die Ursache des Strebens und Arbeitens der Menschen. Es scheint daher unzweifelhaft, dass gerade die völlig von französischen Einflüssen beherrschte sinnliche Kultur der Elsässer das stärkste Band bildet, das die Bevölkerung mit Frankreich verknüpft. Die ganze städtische Bevölkerung und der von dieser Kultur überhaupt berührte Teil des Landvolkes sieht in dem „Pariser Chic" das Ideal, dem nahezukommen keine Mühe und kein Opfer gescheut wird. Die ärmste Fabrikarbeiterin, die sich ihren Sonntagsstaat in der Nacht nach abgegriffenen Modejournalen mühsam zurechtnestelt, das Bauernmädchen, das seine „Buschenkappe" (die grosse Schleife) und damit die Landestracht abgelegt hat, die reiche Fabrikanten- oder Bierbrauersgattin, die sich ihren ganzen Staat, vom Kleid bis zu der Equipage, von Paris kommen lässt, der kunstverständige Notar oder Fabrikant, für sie alle ist Frankreich das gelobte Land. Allerdings beharrt das Landvolk meist noch bei der Väter Tracht und Sitte. Wenn es diese aber verlässt, so ist selbstverständlich die höhere Kultur nur die französische Kultur. Allerdings findet man ja auch in Deutschland diese bedingungslose Annahme der sinnlichen Kultur Frankreichs nicht selten, aber dort wird sie eben nur als Schmuck des Lebens ohne weitere Bedeutung gepflegt, im Elsass aber rufen alle diese schönen Dinge wirkungsvoller als jede Agitation die Liebe zu dem Lande wach, dessen nationalem Geist sie entsprungen sind.

In engem Zusammenhang mit der bisher geschilderten Kultur der Bevölkerung steht nun ihr tägliches Leben. Denn Sitte und Gewohnheiten sind das Erzeugnis der nationalen Anlagen nicht minder als der ganzen materiellen und geistigen Kultur. Natürlich ist das tägliche Leben der verschiedenen Bevölkerungsklassen nicht gleichartig. Wir haben in erster Linie den Tageslauf der Kleinbürger im Auge und zwar aus zwei Gründen, erstens weil sie neben dem Bauernstand die wichtigste Bevölkerungsklasse bilden, und ihre Sitten auch in den höheren Kreisen, allerdings stark modifiziert, massgebend sind, und zweitens weil ihr tägliches Leben die eigenartigsten Züge aufweist. Auch das Leben des Bauers zeigt, von den unvermeidlichen Besonderheiten, die sein Beruf mit sich bringt, abgesehen, viele dem kleinbürgerlichen ähnliche Züge. Denn einerseits ist er nicht so sehr von Mühe und Arbeit erdrückt wie der deutsche Bauer, und andererseits hat der enge Zusammenhang zwischen Stadt und Land auch im