Belzig/Trinius
Jener Landrücken der norddeutschen Ebene, welcher sich in einer Länge von ungefähr zwölf Meilen östlich der Elbe zwischen Belzig, Wittenberg, Jüterbog und Dame hinzieht und die Wasserscheide zwischen den Zuflüssen der Elbe und Havel bildet, wird in einen westlichen und östlichen Teil, den hohen und niederen Fläming unterschieden. Seinen Namen führt er von den flämischen Kolonisten, welche in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts durch Albrecht den Bären und Erzbischof Wichmann von Magdeburg aus den Niederlanden berufen wurden, um das verwüstete und durch die gegen die Wenden geführten Vertilgungskriege vollständig entvölkerte Land wieder anzubauen. Sitten und Trachten jener Ansiedler sollen sich nachweisbar noch bis in's siebenzehnte Jahrhundert erhalten haben.
Der Fläming ist ein kahles Hochplateau, über dessen Fläche sich nur einzelne Höhen bergartig erheben. Während im östlichen Teile, zwischen Jüterbog und Baruth, der hohe Golm (178 m) steil und unvermittelt mit seiner dunklen Waldkrone ans dem Flachlande emporragt, erreicht der westliche Teil des Höhenzuges in dem Hagelberg bei Belzig (201 m) den überhaupt höchsten Punkt der Mark Brandenburg. Von Süden her steigt das Plateau allmählich hinan, um dann durchgängig steil im Norden gegen die Ebenen der Mark hin abzufallen, während es nach Osten stufenartig sich zur Dahme senkt. Aus dem Fläming sind die Bauerngüter vorherrschend; Wiesengründe findet man nur vereinzelt an den kleinen Flüssen Nuthe und Dahme. Der größte Teil des Fläming ist kahl, und frei streift der Wind über die weiten Felder und sanften Hügelwellen, in deren Einsenkungen und Mulden stille, einsame Dörfer eingebettet liegen.
Der östliche Teil des Fläming enthält weite Nadelwaldungen, welche hauptsächlich das Brennmaterial zu den bedeutenden Glashütten bei Baruth liefern, hingegen der hohe Fläming reich an prächtigen, alten Laubwäldern ist, welche sich tief bis nach Anhalt hineinziehen. Und wie sich all diese Höhenzüge und Hügelketten um den Hagelberg, als den höchsten Punkt, gruppieren, so hat auch die Natur mit freigiebiger Hand über dieses Stückchen Land eine Fülle von Lieblichkeit ausgegossen, wie sie unsere Mark in solch heiterer Anmut kaum wieder auszuweisen hat. Von Belzig bis Wiesenburg, quer durch die romantische Brandtshaide bis hinaus zur Burg Rabenstein, reihen sich Stätten voll Glanz und Geschichte aneinander, Hand in Hand mit den seichtesten und köstlichsten Naturbildern gehend. In diesem reizvollen Nebeneinander liegt in der Tat ein noch viel zu wenig gekannter und gehobener Schatz für uns märkischen Wandervögel, Täler und Hügel lösen sich hier im gefälligen Wechsel ab, bald das Auge durch weite, bunte Fernsichten erfreuend oder im Rauschen lichtgrüner Buchenhaine den ganzen bestrickenden Zauber einer frohen Waldnatur entfaltend. Fürstlich ausgestattete Schlösser, mit lustigen Zinnen und Balkonen, ragen über die Wipfel uralter Parkriesen empor; Denkmäler erinnern uns an des Vaterlandes Schmach und Sieg, und aus den vorspringenden Bergkuppen, von denen muntere Bächlein zu Tage gesprungen kommen, trotzen verwitterte Ruinen den Jahrhunderten, von verklungener Tage Glanz und Pracht singend und sagend.
Denn so unbedeutend auch dieser Erdenwinkel erscheinen mag, in der Fülle von Lust und Leid, die er getragen, in den wechselvollen, rauhen Geschicken, die sonst, hart austretend, über seine Fluren zogen, ist seine Geschichte zugleich auch ein Spiegelbild der großen Weltgeschichte geworden, die ihre hohen Wellen auch über dieses Ländchen dahin rollen ließ. Die gewaltigsten Glaubens- und Waffenkämpfe, welche Deutschland bewegten, sind hier nicht spurlos vorübergegangen, und mit furchtbarer Wucht schritt die entfesselte Kriegsfurie zu wiederholten Malen über diese Höhen, hinab in die angstvoll aushorchenden Täler.
Heute ist freilich Alles vergessen und begraben, und soweit das Auge reicht, schaut es aus friedliche Arbeit, Wohlstand und Segensfülle. Nur die alten Burgen droben wissen zu erzählen von dem Ringen und Kämpfen vergangener Geschlechter, von der Pracht, welche einstens in ihren jetzt zerbröckelten Mauern ihre Feste feierte, von Waffenklang und Minnesang. Sage und Geschichte haben sie für immer mit unverwelklichen Kränzen dankbar geschmückt.
Es war im Monat Mai, als wir gen Belzig fuhren. Die Bienen summten um die blühenden Fliederhecken, und in die weit geöffneten Fenster und Herzen sang der Frühling in vollen Tönen sein helles Hochzeitslied. Freundlich und heiter lagen die Straßen und Gässchen des sauberen Städtchens vor uns, das längst seine Tore und stolzen Warttürme eingebüßt hat, und von deren starker Befestigung nur noch wenige Stadtmauer-Überreste Zeugnis ablegen. Südwestlich der Stadt erheben sich steil und schirmend die Höhen, zu welchen wir, dem Laufe eines Bächleins folgend, langsam emporklommen. Aus der äußersten Spitze des letzten Hügels ragen die stattlichen Reste der Burg Eisenhart empor. Zwischen dieser Veste und der gegenüberliegenden Höhenwand windet sich die Wetzlarer Bahn durch einen schmalen, hohen Engpass, um dann bald wieder in das lachende Tal nach Wiesenburg hinab einzumünden.
Vor uns aber wölbt sich eine steinerne Brücke über im Wallgraben, welcher einst an dieser stelle musste abgestochen werden, um den Hügel, welcher das Schloß trägt, von der angrenzenden Hügelkette zu trennen. Äußerst markig zeigt sich uns von dieser Teile der noch vorhandene Schloßteil mit zwei vorspringenden, turmartigen Flügeln, an welche sich längs des Wallgrabens mächtige, verfallene Mauern schließen, an jeder Biegung die Reste eines kolossalen Turmes tragend. Sieben solcher Rondelle sind noch ruinenhaft erhalten, Efeu und Ginster klettern an ihnen empor, und aus den Risten und Bruchstellen strecken blühende Bäume ihre Häupter hervor, als wollten sie mitleidig und tröstend die gestürzten Steinriesen mit ihren Blättern und Blüten schmücken. Einen überaus freundlichen Anblick gewährt zur Linken vor dem Eingang zur Burg das unter dichtem Blätterdach halbversteckte Kirchlein St. Briccius, das älteste Bauwerk von Belzig, welches bereits unter Albrecht dem Bären errichtet ward, um, wie die Sage meldet, die Reliquien eines heilig gesprochenen Mönches Briccius aufzunehmen, der, fälschlich eines Inzestes angeklagt, aus dem glühenden Feuerroste seine Unschuld glänzend beweisen sollte. Der noch erhaltene Teil der Burg, welche nach dem dreißigjährigen Kriege äußerst vornehm erneuert wurde, dient jetzt den Zwecken des Rent- und Landratsamtes. Die hohe, weite Eintrittshalle, zu deren beiden Seiten die Verwaltungsräume liegen, weist ein vielverzweigtes Sterngewölbe aus, das, von einem einzigen Mittelpfeiler getragen, einen überaus harmonischen und edlen Eindruck hervorrufst. Tritt man von hier aus aus den Schloßtor, so steigt dicht vor uns aus einem bewachsenen, kegelförmigen Hügel der stolze, runde Wartturm empor, der älteste Überrest der ersten Burg, welche von einem deutschen Ritter aus der Stätte eines ehemaligen wendischen Burgwalles, als ein Kastell zur Abwehr feindlicher Überfälle, errichtet wurde. Trümmerhaufen und wenige Mauerreste in der Nähe des Turmes sind noch die Reste der alten Burganlage, welche bei weitem nicht die spätere Ausdehnung der um 1465 bedeutend erweiterten Veste besaß.
Es war Kurfürst Ernst, welcher hier Mauern und Rondelle errichten ließ und die Zimmer und weiten Hallen der Burg mit fürstlicher Pracht auf's Neue ausstattete. Er war es auch, welcher dem ehemaligen „Grentzhause von Belzig" zuerst den Namen „Eisenhart" beilegte. Außer der runden Warte ragte damals auch noch ein hoher Spitzturm in die Lüste, und zahlreiche Erker, Ballone und Türmchen schmückten den Bau. Die Jahrhunderte haben seitdem Alles wieder mit rauher Hand weggesegt; nur der Wartturm hielt treu aus. Von seinen Zinnen breitet sich tief unten ein ungemein reizendes, malerisches Panorama aus.
Doch wie einst seine Mauern den Anprall feindlicher Horden zurückwiesen, so wehrt er jetzt, eifersüchtig gegen den Fremdling, seit Jahren unerbittlich jedem Wanderer den Eintritt. In schweigen und Sinnen gehüllt, steht er droben aus einsamer Wacht, sieht die Wolken ziehen und lauscht dem heiseren Schrei der Dohlen. Manchmal schrickt er auch wohl aus seinen ritterlichen Träumen auf, wenn der gellende Ton des vorübersausenden Dampfrosses ihn jählings aufrüttelt. Nur wer die Formel kennt und den Zauber zu brechen weiß, dem gibt er Tor und Himmelsleiter frei.
Uns war die Stunde günstig! — Schloss und Riegel sanken vor dem Zauberwort des Gewaltigen, und mit dankbarem Gemüt klommen wir erwartungsvoll die schmalen Stiegen hinan.
Und nun standen wir oben, hart an der Brustwehr, und schauten aus das liebliche Bild des Thales. Da unten lag sie, die freundliche Stadt, in dem grünen Kranze schattender Bäume. Über die roten Dächer ragte hoch der Turm von St. Beatae Mariae Virginis; zwischen dem Häusergewirr zeigte sich das Glockentürmchen des Rathauses und weiterhin, halb verborgen, St. Gertraud mit dem Hospital. Ein flinker Bach treibt sausend die Räder der Schloßmühle und verliert sich allmählich durch saftige Wiesengründe in der blauen Ferne. Täler und Hügel, Dörfer und Wälder, und über Alles ausgeschüttet die funkelnde, goldene Lust eines Maimorgens. Und wie die Blicke in die Landschaft bis zu den dämmernden Linien des Horizontes schweifen, so auch greift die Geschichte bis in das sagenhafte, graue Altertum hier zurück. Stadt und Burg sind geschichtlich eng mit einander verbunden.
Die älteste aus uns gekommene Urkunde, vermittelst welcher Kaiser Otto II. die in dem einstigen Wendengau Plonin belegene Burgwarte Belizi dem Erzstifte Magdeburg verlieh, um dasselbe wegen gewisser Ansprüche aus Zehnterhebung zu befriedigen, lautet wörtlich:
„Otto Imperator Augustus ob interventum Gieselarii Magdeburgensis ecclesiae archiescopi, quoddam burgwardium in provincia Ploni dicta situm, pro ejusdem regionis concambio decimatonis ad sanctum Mauritium donavimus in comitatu Teti comitio situm, nominatim vero burgwardium vulgo Belizi atque idem burgwardium cum omnibus suis pertinentiis. 997."
Mit dieser Umwandlung in eine deutsche Burg, setzte Kaiser Otto zugleich den Grafen Dedo als Gaugrafen ein, einen Nachkommen des Sachsen Wittekind.
Er war es, welcher an Stelle der heidnischen Befestigung das erste Kastell erbaute, und wie sich nun ringsherum in dem Lande solche Verteidigungs - Bauten erhoben, Schutz den heranwachsenden Ortschaften und Weilern gewährend, so ging auch jetzt zugleich durch die rührige Tätigkeit der Zisterzienser- und Prämonstratenser - Mönche die Urbarmachung des Landes rüstig fort. Kultur und Gewerbe begannen ihre Segnungen auszustreuen. Zwei Jahrhunderte verrauschten. Einfälle der Polen haben daraus die Burg wieder zerstört, und erst unter dem Askanier Albrecht und unter Benutzung des stehen gebliebenen Wartturms wurde ein erweiterter Ausbau der Beste in Angriff genommen, welche denn auch bis in das fünfzehnte Jahrhundert hinein allen Stürmen Trotz bieten sollte.
Aus dem slawischen Dorfe Belizi wuchs indessen langsam die Stadt Belzig heran. Um diese Zeit fällt die Erbauung der droben stehenden Kapelle St. Bricius, welche, wie alle Burgkapellen, während der herrschenden Fehden, eine geweihte und unantastbare Stätte bildete. Zur Zeit Herzog Albrecht I. (1212 bis 1260) finden wir aus der Burg einen Burggrafen Bederich. Die überkommenen Nachrichten wissen nicht genug die Vorzüge und trefflichen Eigenschaften dieses Mannes zu preisen. Dem herrschenden Drange der damaligen Zeit folgend, wallfahrte auch er nach den heiligen Stätten des gelobten Landes. Dort lernte er die edle Tätigkeit kennen, welche die Orden der Templer und Johanniter ausübten. Bald nach seiner Rückkehr schenkte er denn auch dem deutschen Ritterorden eine Commende in dem zwei Meilen abgelegenen Dorfe Dahnsdorf, welche er reichlich ausstattete. Von hier aus sollten sich bald Ströme des Segens deutscher Sitte und christlichen Wesens über das Land ausgießen. Mit dem Tode des Grasen Bederich, welcher ohne männliche Erben zwischen 1250—1260 starb, fiel das Belziger Grafentum wieder als eröffnetes Lehen an den Herzog von Sachsen zurück. Von diesem Zeitpunkte an erhielt die Burg den Namen „das weiße Schloss", oder „das herzoglich-sächsische Grentzhaus von Belzig". Die Herzöge setzten eine Reihe von Vögten (advocati) in ihre nördliche Grenzstadt ein, welche fast ununterbrochen bis zum Aussterben des Hauses 1422 die Veste verwalteten. Nur gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts scheint es, als ob Belzig auf kurze Zeit unter brandenburgische Lehnsherrlichkeit gekommen ist, wie aus einem Ehevertrag zwischen der Markgräfin Jutta, Schwester des Markgrafen Hermann von Brandenburg, und dem Herzog Rudolph von Sachsen hervorgeht, und der vom Kaiser Albrecht 1298 bestätigt wird. In diesem Vertrage erhält Markgräfin Jutta das Schloss Belzig als Mitgift. Keiner aber von allen sächsischen Herzögen hat so häufig und mit ausgesprochener Vorliebe sein Hoflager hier oben ausgeschlagen, als Rudolph I. Stets brachte er ein zahlreiches Gefolge von Rittern, Knappen, Spielleuten und Dienern mit, sowie auch seinen Wittenberger Kaplan, um sich hier aus längere Zeit einer ungebundenen Freiheit zu erfreuen.
Noch zweier Ereignisse gedenkt die Chronik, welche für die damalige Zeit außerordentliches Aussehen erregten. Im Jahre 1382 war es die Nachricht von der blutenden Hostie zu Wilsnack, welche alle Gemüter beschäftigte und eine enorme Wallfahrt von Männern, Weibern und Kindern zur Folge hatte, sowie der um 1374 in Deutschland ausgebrochene St. Johannistanz. Scharen verzückter und halb wahnsinniger Frauen und Männer zogen tanzend durch das Land, immer neue Opfer mit sich lockend. Das Volk hielt diese dansatores oder choriantes, wie sie genannt wurden, für Besessene und drohte den Priestern, welche es nicht vermochten, den Satan ihnen auszutreiben. Unter dem Gesange:
- „Here sent Johann, so so,
- vrisch und vro,
- here sent Johann“
tanzte man halbe Tage lange in den Kirchen, aus öffentlichen Plätzen, ohne Scham noch Scheu, bis convulsivische Zuckungen und Krämpfe eintraten. Es sollte lange dauern, ehe diese merkwürdige Krankheit vollkommen erloschen war. Im Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts, als sich in Straßburg plötzlich neue Symptome der Tanzwut einstellten, brachte man die Wütenden in die Kapelle St. Veit zum Rotestein. Von da ab ward St. Veit der Schutzpatron der Kranken, welche fortan St. Veitstänzer genannt wurden.
Um das Jahr 1383 fällt auch die Stiftung des Hospitals zum heiligen Geiste, eine segensreiche Anstalt, welche noch heute in erweitertem Maßstabe der willkommene Zufluchtsort Kranker und betagter Mittellosen ist. War es die Pest, welche schon zweimal den Ort heimgesucht hatte, so sollten jetzt die starken Mauern Belzigs die Feuerprobe gegen einen sichtbaren äußeren Feind bestehen. In einer Fehde, welche zwischen Kurfürst Rudolph III. und dem Erzbischof Günther II. von Magdeburg ausgebrochen war, rückte Letzterer vor die Stadt und belagerte sie. Vergeblich hofften die Bürger aus Unterstützung seitens des Kurfürsten. Doch nichts geschah. So wurde trotz heftiger Gegenwehr endlich Stadt und Burg genommen und letztere bis aus den Grund zerstört. Nur der Turm ragte noch einsam in die Lüfte. Und nicht allzu lange daraus, da galt es wieder einen harten Strauß auszufechten. Unter der Anführung Procop's überfluteten die Hussiten in mächtigen Raubschwärmen die deutschen Lande und fielen endlich auch mordend und sengend in Sachsen ein. Nachdem sie Torgau angesteckt hatten, zogen sie in der Richtung nach Magdeburg weiter. Vor Belzig wurde Halt gemacht. Wie mögen da die Herzen der Bürger kleinmütig und verzagt anfangs gewesen sein! Doch mit der Bedrängnis wuchs auch der Mut. Alles Berennen und Belagern erwies sich fruchtlos. Die Eingeschlossenen wehrten sich wie Löwen, bis endlich verstimmt und müde des Kampfes Procop mit seinen liebenswürdigen Tugendbolden der Stadt mürrisch den Rücken wandte, nicht ohne vorher die Vorstädte noch anzuzünden. Und noch tagelang zeigten die lodernden Feuersäulen der brennenden Dörfer den glücklich erlösten Belzigern den Weg, welchen die böhmische Lawine genommen hatte. Groß und klein sang damals in Sachsen:
- „Meißen und Sachsen verderbt,
- Schlesien und Lausitz zerscherbt,
- Baiern ausgenährt;
- Oesterreich verheert,
- Mähren verzehrt,
- Böhmen umgekehrt."
Es war im Jahre 1414, als Kurfürst Ernst von Sachsen, wie schon bemerkt, das „Grentzhaus zu Belzig" in einen prächtigen gotischen Bau umwandeln ließ, in jener gewaltigen Ausdehnung, die noch heute die starken Mauern, sowie die sieben Rondelle bezeugen, welche damals je einen Turm von fünfzig Fuß Höhe trugen. Auch das Burgverlies, sowie der tiefe Schloßbrunnen sind noch heute teilweise vorhanden. Die Zugbrücke führte sofort auf die große Heerstraße nach Wittenberg. Nach seiner Vollendung empfing das Schloss fortan den Namen „Eisenhart".
Und just um dieselbe Zeit erbaute Friedrich II., „der Eisenzahn", seine stolze Fürstenburg zu Cölln an der Spree.
Jahrzehnte schwanden. Römische Hierarchie und ein frecher, gewissenloser Ablaß- und Seelenschacher hatten mehr und mehr die Gemüter dem alten Glauben abgewandt, und mit gläubigem Hoffen aus eine befreiende Tat sah man der nächsten Zeit gespannt entgegen. Nur wenige Jahrzehnte noch, und was alle Welt still und tief bewegte, sollte nun endlich seinen erlösenden Ausdruck finden. Luther fand dieses Wort. Dr. Tetzel, Ketzermeister und General des Dominikanerordens zu Zwickau, war, nachdem ihm, wie die Sage meldet, Hake von Stülpe seine Truhe nebst Barschaft spöttisch abgenommen hatte, mit einem neuen Ablaßkasten über Belzig nach Jüterbog gezogen, um dort mit frischen Kräften, wuchernd und feilschend, die armen Seelen zu betören und zahlreiche Beichtkinder der neuen Lehre Luther's abspenstig zu machen. Hierdurch war für Luther die letzte Rücksicht geschwunden. In heiligem Zorne schlug er am 31. Oktober 1517 an die Schloßkirche zu Wittenberg seine 95 Thesen an, eine unerschrockene, gewaltige Tat, welche bald in ganz Europa sollte Widerhall finden. Die Reformation war angebrochen, und eine ihrer ersten Segnungen sollte Belzig bald erfahren. Die von Luther angestrebten Kirchenvisitationen mussten allerdings noch unterbleiben, da der Kurfürst einen großen Bruch mit den römischen Bischöfen vermeiden wollte. Jedoch hatte Melanchthon inzwischen seinen „Unterricht für Visitationen" erscheinen lassen, bis denn endlich 1530 die erste, und zwar in Belzig, anberaumt wurde. Diese Kommission bestand aus Dr. Martin Luther, Dr. Julius Jonas und den beiden Laien Benedict Pauli und Johann von Taubenheim. Als Magister fungierte damals in Belzig Johann Theuerstenius.
Nachdem man die Einkünfte der Pfarre, der Kirche, des Hospitals, die Besoldung der Schulbedienten (Lehrer) u. s. w. geprüft hatte und M. Theuerstenius als tüchtig und wacker befunden, wurde in der Kirche Unserer lieben Frauen ein feierlicher Visitations - Gottesdienst abgehalten, wobei Luther die Festpredigt hielt. Es war eine Auszeichnung für das stille Städtchen, wie sie nur wenigen zu Teil wurde.
Wieder verrauschte ein Jahrhundert. An Stelle ehrsamer Tüchtigkeit und frommen Lebenswandels war Gottlosigkeit und Unzucht eingerissen. Völlerei und üppige Sinnenlust trieben inmitten von allem Elende ihre tollen, ausgelassenen Feste. Schon warfen die Vorgänge in Böhmen bereits ihre Schatten auch über das unglückliche Sachsenland. Die Furie des dreißigjährigen Krieges begann ihren blutigen Triumphzug. Die Schreckenstage, welche jetzt für Belzig anbrachen, sind so entsetzlicher Art, wie sie in gleich furchtbarer Weise kaum wieder eine Stadt Deutschlands erfahren sollte. Was nicht der Mordlust plündernder Schweden und Pommern oder der Hungersnot zum Opfer fiel, das raffte der schwarze Tod, welcher mehrmals seinen unheimlichen Umgang durch die heimgesuchten Lande hielt, unerbittlich mit sich fort.
Wenn trotzdem aus der Asche der einstigen Stadt neues Leben späterhin erblühte, so ist dies ein um so rührenderes Zeichen der Anhänglichkeit für jene Wenigen, welche nach qualvollen Martertagen wieder aus den Wäldern zu der heimatlichen, gänzlich verödeten Stätte zurückkehrten. Es ist ein düsteres Stück Lokalgeschichte, welches die Chronik jener Tage enthüllt.
Am 4. April 1636 erfolgte die erste Plünderung der Stadt, ohne das es jedoch zu einem Gemetzel gekommen wäre. Man begnügte sich, bescheiden genug, das Rathaus, sowie die Kramläden gründlich auszuleeren und endlich noch sämtliche Pferde zusammen zu koppeln, um dann mit diesen, sowie der anderen Beute heiter und wohlgemut aus der entgegengesetzten Seite die Stadt wieder zu verlassen. Die Bestürzung der Bürger war groß. Es waren nur dreißig Reiter gewesen, welchen man in der richtigen Annahme, aß sie doch nur einen Vortrab größerer Heeresmassen bildeten, den Eintritt nicht verweigert hatte. Nun aber wurden sämtliche Tore verrammelt. Die Nacht verging jedoch ruhig.
Am Dienstag, den 5. April erschienen wieder gegen fünfzig Reiter an den Wällen, Contribution für General Wrangel heischend. Dem alten Gebrauche folgend, ließ jetzt der Bürgermeister sämtliche Glocken läuten, um mit den heraneilenden Bürgern auf offenem Marktplatz weisen Rat zu halten. Doch die Schweden, in der Meinung, es gälte Sturm und Ausfall, jagten plötzlich davon, um Verstärkung zu holen. Und so geschah es. Nach kurzer Zeit standen mehr als hundert Reiter, bis an die Zähne bewaffnet, draußen und begannen jetzt, voll Wut und Habgier die Stadt anzugreifen. Nach heißem Kampfe drangen sie endlich am Sandberger Tore ein. Ohne sich länger in der Stadt aufzuhalten, erbrachen sie die Sakristei der Hauptkirche, darauf die Oberpfarre, wo sie in zahllosen Kisten und Kästen die hier angstvoll verborgenen Kostbarkeiten und Wertstücke der Einwohner entdeckten. Nachdem man dann noch alle Schlupfwinkel der Stadt durchsucht hatte, ging es reich und schwer beladen wieder von dannen. Kaum war der letzte Räuber hinter den Wällen verschwunden, als auch schon durch ein anderes Tor eine neue Rotte hereindrang. Alle Beteuerungen der Bürgerschaft, dass nichts mehr in Belzig zu finden sei, steigerten nur noch mehr die Wut der Schweden. Die ein geschlossenen Frauen und Mädchen wurden unter den grässlichsten Martern zu Tode gequält. Kinder nagelte man an die Haustüren, als Zielscheibe für die Pistolen. Man sägte den Männern die Kniescheiben durch und zwang wieder andere, so lange Mistpfütze zu trinken, bis sie erstickten. Diese letzte Grausamkeit hieß damals allgemein der „Schwedentrunk". Ein zeitgenössischer Geistlicher beschreibt entsetzt die angewandte Prozedur folgendermaßen: „Nach grausamen Prügeln und Schlagen haben sie die elende Person auf den Rücken geleget, einen Stab die Quere in den Mund geleget und mehrmals etzliche Kannen Mistpfütze eingelößet. Wenn solche zurück ihnen wieder aus dem Munde angefangen, so ist einer mit gleichen Füßen ihm aus die Brust gesprungen, durch welche Marter die Henkerbuben die Vorräte finden wollten. Aber leider, Gott dir sei es geklagt, die meisten Personen starben elendiglich." Acht Tage lang dauerten die Durchzüge. In den Straßen lagen haufenweise die Toten und Sterbenden. Alles Leben war in Belzig erloschen. So zündete man auch die Vorstädte an, bis endlich ein neuer Haufe Mordbrenner die Stadt zugleich an allen Ecken den Flammen übergab. In wenigen Stunden lag fast die ganze Stadt, die schöne Pfarrkirche, das Rathaus, Hospital, Schulen und Scheunen in Asche. Einige Wochen später ging auch der Stolz Belzigs, die prächtige Burg Eisenhart, in den Flammen aus, und der erhalten gebliebene Wartturm sah traurig aus ein Aschenfeld im Thale nieder, aus dem nichts als ein paar elende Hütten in der einstigen Vorstadt davon zeugten, dass einst hier eine blühende Stadt gestanden hatte.
Jahre sollten vergehen, ehe sich wieder eine kleine Gemeinde von neun Bürgern gebildet hatte, um dann droben in der wie durch ein Wunder unversehrt gebliebenen St. Bricciuskapelle ihren ersten Dankgottesdienst abzuhalten.
Während des dreißigjährigen Krieges war inmitten aller entsetzlichen Gräuel eine grenzenlose Zuchtlosigkeit eingerissen, welche noch lange während der nachfolgenden Jahre in deutschen Landen herrschen sollte. „Lasset uns essen und trinken, denn morgen sind wir todt," lautete die Parole allgemein. In manchen Kirchen ward voll Übermut oder wohl auch in Ermangelung anderer vorhandener Räume Bier gebraut; ja, der Superintendent von Zahna beschwert sich einmal ernsthaft: „Hunde laufen in der Kirche zu Haufen herum, ohne dass Jemand sie hinaustreibe." Und ein anderes Mal donnert er drastisch genug, aß die Leute sich in den Branntweinhäusern herumtrieben, ebenso habe der Rat die eingezogenen Strafgelder nichtswürdiger Weise „versoffen". Dazwischen gab es immer noch Hexenprozesse, trotz aller Reformation und Aufklärung, und der Cantor von Belzig, welcher einmal eine Hexe zum Schafott begleitete, erhielt für diese schauerliche Galanterie die enorme Summe von sechszig Thalern, während der arme Nachrichter nur elf Thaler liquidieren durfte. Aberwitz, Versumpftheit und Elend überall. Die Schreckensjahre des dreißigjährigen Krieges haben wenig Dichter gefunden, welche in gleich packender und erschütternder Weise diese unselige Zeit schilderten, als wie es 1637 Rudolph Wasserhuen zu Anklam unternahm.
Charakteristisch genug beginnt einer seiner zahlreichen Klagegesänge:
- „Wringet, Menschen, eure Hände,
- Reibet eure Augen sehr.
- Ob dem ewrigen Elende
- Klaget immer mehr und mehr,
- Und laßt unbeschwichtig sein
- Eure kleine Kinderlein.
- Mars und mors thun sich zusammen,
- Kochen uns ein saur Gericht.
- Ceres unsres Lebens Amme
- Karget sehr und nähret nicht:
- Ob wol in der Welt ein Mann
- Solche Noth gedenken kann?
- Man thut wunderbarlich hausen,
- Raubet was er finden kann,
- Städt und alle Land bemausen,
- Und zündet die Dörffer an,
- Daß das gantze Feld steht kahl;
- Wüster Wind wohnt überall.
- Auf den Gassen in den Thoren
- Liegen Todte: hin und her
- Exuliren die Pastoren,
- Nicht ohn sonder groh Beschwer,
- Und beschlossen ihre Zeit
- In so grossem Herzeleid."
Das Schicksal Belzig's erregte allgemeine Teilnahme. Eine im Kurfürstentum Sachsen angestellte Kollekte ergab die halbwegs nötige Summe, um die „aedificia, publica" wieder auszubauen, und bald konnte sich die treue Bürgerschaft auch wieder den luxuriösen Genuss eines fest angestellten Stadtpfeifers vergönnen.
Allmählich erstand dann aus dem Aschenhaufen heraus die Stadtkirche, das Rathaus, erhoben sich aufs Neue Schulen und Pfarrhäuser, sowie das Hospital zum heiligen Geiste. Endlich erfuhr auch Burg Eisenhart unter der Regierung des prachtliebenden Herzog Ernst III. 1685 eine teilweise, moderne und ausgezeichnete Renovation.
Zu wiederholten Malen ward nun wieder droben das Hoflager ausgeschlagen, nachdem man dem Justizamtmann Wörger eine Amtswohnung eingeräumt hatte. Auch Peter der Große, nachdem derselbe in Torgau der Hochzeit seines Sohnes Alexei beigewohnt, in Wittenberg darauf das Lutherzimmer besichtigt hatte, wo noch heute sein Name über der Türeinfassung zu sehen ist, kam über Belzig, um in Eisenhart zu übernachten. Dies war 1712. Wenn in dem später ausbrechenden siebenjährigen Kriege auch jene Greueltaten, wie sie Belzig in der Schwedenzeit erduldet hatte, nicht wiederkehrten, so brachten die Durchmärsche der Franzosen und Preußen doch viel Kummer und legten den Einwohnern erdrückende Lasten auf. Nicht allein, dass man ungeheure Summen fort und fort erpresste, auch die Felder wurden verwüstet, der prächtige Wildbestand der Brandtshaide total ausgerottet, und außergewöhnlich grimmige Kälte, sowie austretende Viehseuchen taten das Übrige noch, die Verzweiflung der Einwohner zu steigern. „Ah, vous n'avez pas d'idee, combien un peuple peut souffrir!" Ein damals geflügeltes Wort des raublustigen Darus, welches sich immer wieder bewährt hat. Auch Burg Eisenhart litt viel Schaden während dieser kriegerischen Epoche. Nur langsam vermochte sich Belzig wieder von den harten Schlägen zu erholen.
Am Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts war es auch, dass in dem Städtchen zwei Männer das Licht der Welt erblicken sollten, deren Erinnerung eine dankbare Nachwelt treu bewahren wird. Am 12. Januar 1769 ward hier dem Amtsvorsteher Eberhard ein Söhnlein geboren, welches in der Taufe die Namen „Christian August Gottlob" empfing und späterhin hauptsächlich durch sein sinniges und gemütvolles Idyll „Hannchen und die Küchlein" den Beifall einer empfindsamen Mitwelt erntete.
Am 31. Januar 1798 aber erblickte Carl Gottlieb Reißiger hier das Licht der Welt, dessen Opern noch unvergessen sind, und dessen Lieder lange fortleben werden, mit ihrem musikalischen Wohllaut den Beifall dankbarer Herzen wachrufend.
Die Jahre deutscher Schmach brachen herein. Der Kurfürst von Sachsen, nationale Ehre und Stolz vergessend, hatte sich Napoleon angeschlossen, um als Lohn die langersehnte Königskrone in Empfang zu nehmen. An den Grenzen Sachsens, somit auch bei Belzig, wurden nun Tafeln mit der Aufschrift: „Territoire de Saxe, pays neutre" aufgerichtet, was jedoch den korsischen Fuchs nicht hinderte, dem unbesonnenen Lande eine Contribution von 7.053.358 Thalern aufzuerlegen. Russen hausten acht Tage lang in Belzig; aus dem Eisenhart aber ward das Hauptquartier des Generals von Wittgenstein aufgeschlagen. Doch die Erlösung war nicht mehr fern. Die Schlacht bei Großbeeren ward geschlagen, und am 27. August 1813 fand das glänzende Treffen aus dem nahen Hagelberge statt. Und endlich läuteten die Glocken durch das aufatmende Land: Friede, Friede!
Belzig, sowie der gesamte Kreis Wittenberg, fiel Preußen zu. Und wie die Stadt einstens für Sachsens Ehre stritt und litt, so haben ihre Bürger seitdem bewiesen, mit welch unerschütterlicher Treue und Hingabe sie jederzeit für das Haus Hohenzollern einstehen. Ein reich bewegtes Leben ist über diese Fluren dahingezogen, mehr Leid wie Lust, mehr Trübsal, als Freude bringend. Doch unbeugsamer Mut und die treueste Anhänglichkeit zur heimatlichen Scholle haben immer wieder mit nicht erlahmender Kraft versucht, die Wunden, welche ein raues Geschick schlug, zu lindern und zu heilen. Und diese Hoffnung sollte nicht unerfüllt bleiben! Wie oft auch wilde Feindesschaaren diese Fluren zertraten und verwüsteten, heute wiegt sich die Lerche jubilierend über weiten, wogenden Saatfeldern und streut ihre hellen Lieder schmetternd in die blaue Lust. Tore und Mauern sind gefallen, doch rühriger Fleiß und tüchtiges Streben, ein freier, wackerer Bürgersinn halten scharfe Wacht, dass Zufriedenheit und Wohlstand nicht mehr von dannen weiche. Möge er immer blühen! Jahrhunderte kamen und gingen, und ein Geschlecht löste das andere im ruhelosen Wechsel ab. Nur droben der sagenumrauschte Eisenhart überdauerte alles. Einsam und allein ragt er gewaltig empor, ein ernstes Denkmal seinen Anwohnern an jene Zeit, die wir so oft, undankbar gegen die eigene, als „die gute alte Zeit" loben und preisen, und welche doch so überreich an Tränen und Elend war. Unbeweglich und sinnend lauscht der verwitterte alte Recke hinab in das froh jauchzende Tal, in den grünenden, blühenden Schloßgarten zu seinen Füßen, aus dem es heute heraus weht wie Blütendunst und Nachtigallenschlag, wie ein Gruß innigster Frühlingsfreude.
Trinius, August: Märkische Streifzüge, Minden i. W., J.C.C. Bruns' Verlag, 1887