Australische Auswandererbriefe (1934)/23
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Der Heimat Bild - Australischen Auswandererbriefen nacherzählt von Walter Fläming | |
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Das ist gut massiv von unten bis oben. „Schloß Marienlust“ nennen es die Kinder, wenn sie sich mit ihrer Mutter mal strubeln wollen. Die aber zeigt ihnen dann die Zähne und meint, sie sollen nur gut acht geben, daß ihnen die Schloßhexe nicht über den Hals kommt. Die Emmi, unsere Jüngste, holt dann das große Grimmsche Märchenbuch her, das Vater Anno 1864 mit Georg Weddi, der damals herüberkam, mitschickte, und vergleicht die Hexe aus dem Märchen von Hänsel und Gretel mit dem Bild ihrer Mutter. Das gibt dann immer einen Heidenspaß. Und wenn sowas gerade nach Feierabend passiert, dann betteln sie alle viere, der Zwanzig- und der Zwölfjährige, die Siebzehn- und die Fünfzehnjährige: „Mutter, och vertell doch mal die Geschichte von der Fienerhexe.“ Dann hilft ihr kein Doktor davon. Dann klöhnen wir alle die alten Spinnstubengenschichten vor von der Paplitzer Gespensterkatze, vom Tucheimer Klingelberg, vom Hund am Fienerdamm, von den Heimchensteinen und viele andere. Und mich lassen sie nicht eher aus den Scheren, bis ich ihnen die Schnurre von den Kossatenstiefeln in Paplitz erzählt habe. Dann gibt Vater noch allerlei zu: Vom Schuster, der mit Menschendarm nähte; von allerlei Hexreim und all so einem Kram. Seht, so werden wir mit den Kindern wieder jung; und an solchen Abenden ist's, als säßen wir daheim in Paplitz in der Spinnkoppel. Und manchmal nach solchen Stunden merkte ich, wie meine Marie still für sich in die Kissen hineinweint. Und sie ist doch gewiß keine butterweiche Seele.
Die Stimme des Blutes
Friedrich Berkow war gerade 64 Jahre alt, da legte sich unerwartet seine Marie in „Marienlust“ mitten an einem heißen Erntetage ins Bett. Das hatte sie bisher nie getan, und tat es auch in ihrem Leben nicht wieder, denn schon fünf Tage darauf betteten sie sie in die glühend heiße Erde zur ewigen Ruhe. Der alte Farmer, obgleich draußen die Felder jeden Arm verlangten und stundenweis der Erntelärm bis in Maries Krankenstube drang, hielt all die Tage hindurch ihre harten Arbeitshände in seinen schwieligen Fäusten. Du gingen sie in gemeinsamem Gedenken ihren harten Lebensweg nochmals von Anfang bis zu Ende. Doch immer kehrten ihre Erinnerungen zurück zu dem stillen Dorf, weit weg auf der andern Seite der Welt. Sie sahen den Kirchturm, die Mühle, das Schulhaus. Sie standen unter den Weiden am Bach. Sie schnitten das Korn auf den Langmaten und heuten in sengender Juliglut im Fiener. Sie erlebten die wundervollen Spinnabende wieder und tanzten bei Erntebier und Fastelabend. Sie wurden beide in der alten Heimat; und die stand wie ein verklärtes Paradies vor ihren Augen. Es war viel Heimatsehnen in ihren Seelen; und das machte die Kranke so ruhig und glücklich. Als sie ihren letzten Atemzug tat, war es Friedrich Berkow, als sei er nun selber heimatlos geworden.
Es war ein großes Begräbnis, das sie der harten und doch immerzeit freundlichen und hilfsbereiten Farmerfrau ausrichteten. Und obgleich es rührige Erntezeit war, kamen sie von fern und nah zu Pferd und mit dem Wagen. in ihren altväterischen Abendmahlsröcken und mit dem schon graugrün glänzenden Biberpelzzylindern kamen die Alten, jene, die vor Jahrzehnten mit den Berkows hinüberkamen. Es waren noch die gleichen Kleider, in denen sie vor unendlichen Zeiten - so schien es ihnen - als Jungmänner vor den Traualtar traten; heute bedeuteten sie ihnen ein Stück heilige Heimat. Aus Lobetal, Blumberg, Friedensburg; weiterher aus Bethanien, Schönberg, Neukirch und Rheintal kamen sie; aus jeder deutschen Siedlung, denn Marie Berkow hatte ja ihr australisches Leben inmitten der deutschen Dörfer verbracht. Deutsch war die Leichenrede, die von Treue über Treue handelte; deutsch der Grabgesang; denn der Kantor und der Pastor gaben scharf Obacht, daß nicht ein Tüpfelchen alten Heimatbrauches verlorenging.