Karschauen

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Ordensland im 14. Jahrhundert
Historische Grenzverläufe zwischen den Deutschen und Livländischen Orden

Karschauen ist eine baltische Landschaft nördlich des Memelstromes, über die recht wenig bekannt ist. Unter den Wissenschaftlern, die sich damit befassten, gab es große Meinungsverschiedenheiten, weil die Quellen selten eindeutig formulierten und dem entsprechend Spielraum zu Interpretation geben. Außerdem wurde das wissenschaftliche Augenmerk auf Karschauen ausgerechnet während einer Epoche gelegt, in der (hervorgerufen durch den 1879 gegründeten „Kleinlitauischen Rat“ und dem daraus folgenden Akt von Tilsit 1918) die "Nationalitätenfrage" heiß diskutiert wurde.

Geografische Lage

Karschauen liegt in den kurischen Landschaften Ceclis [1] und Lamotina [2], im niederlitauischen Gebiet Zemaitien und in dem am Rande Hochzemaitiens gelegene Twerkiten. Es grenzt an die prußischen Stammesgebiete Schalauen und Sudauen. Im Jahre 1307 reichte Karschauen bis an die Burg Memel. Aus der Angabe des Michael Kuchmeister (1411), der Rückzug vom ersten Kriegszug gegen die Karschauer sei über das Kurische Haff erfolgt, darf jedoch nicht geschlossen werden, Karschauen habe sich über ganz Ceclis ausgedehnt, denn auch andere Züge gegen die Litauer führten über das Haff, weil die Wege durch die Wildnis zu beschwerlich waren.

Die Ostgrenze wird in Wegeberichten des Ritterordens angedeutet: Karschowin/ Carschowin 1,5 Meilen südlich von der Laukuva (Bezirk Tauroggen) und zwei Meilen westlich von der Jura. Die Südgrenze dürfte das schalauische Gebiet um Schmalleningken dargestellt haben, jedoch nicht südlicher als die Memel und die Szeszuppe. Im Kerngebiet Karschauens liegen die Örtlichkeiten Skarsschen, Georgenburg (Jurbarkas), Biverwate (an der Bebirva) und Skeršpile (an der Mituva).

Solches geht aus Ordensurkunden und Wegeberichten hervor. "Von der Jure sint II mile bis czu den Kurschowin vnd eyn mile vort in das lant czu Littowin"; "wil anhebin, do die Carsschowin wonen und wil furen czu Lakawse dem flise (Laukuva), das ist I 1/2 mile, czu herin gnuk, von Lakowse czu Parsepil II mile, do czischen wonet Gnete (Genotias östlich von Kvedarna) vnd ist czu herin gnuk". Die Karschauer lebten also östlich der Jura und wurden deutlich von den Litauern (Littowin) unterschieden.

Ende des 14. Jahrhunderts wird nicht mehr von Karschauen berichtet, nur noch von den Karschauern. Der zemaitische Ortsname Karšuva bezieht sich auf die Wohnsitze der Karschauer. Der Kreis Karšuva entstand erst im 16. Jahrhundert durch die fortschreitende Besiedlung der Wildnis im Tiefland, der ehemaligen Landschaft Karschauen.

Geschichte

Zemaiten und seine Nachbargebiete in der Mitte des 13.Jahrhunderts

1259 legte der Livländische Orden gemeinsam mit dem preußischen Ordenszweig eine Burg in Karschauen an: "castrum in terra Carsovie in monte sancti Georgii", die Georgenburg (Georgii castrum) beim heutigen Jurbarkas. 1289 werden die Landschaften Schalauen, Karschauen und Twerkiten geteilt. Die Teilungsurkunde gibt keinen genauen Aufschluss über die Ausdehnung Karschauens.

1303 wird mit einem großen Heer ein Beutezug von Ragnit aus in "terram Carsovian" unternommen, bei dem sich die Leitsleute verirren und letztlich in alle Richtungen fliehen. 1307 richten die Karschauer einen Zug gegen die Burg Memel. Im Gegenzug zieht 1307 wieder ein (diesmal kleines) Ordensheer gen Karschauen. Die Karschauer müssen ihre Burgen Scroneyte und Biverwate aufgeben, die Bewohner flüchten. Sie siedeln sich letztlich am Südrand von Hochzemaiten an.

Ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts müssen die Karschauer dem Komtur von Memel zinsen. Nachdem der Orden 1398 auch Zemaitien erworben hatte, setzte er dort einen Vogt ein, dem auch die Karschauer zugewiesen wurden. Denn er konnte die Steuern viel besser eintreiben.

Von litauischer Seite aus wird argumentiert, dass Karschauen litauisch sei, dass in der Schenkungsurkunde (1253) des litauischen Königs Mindaugas dieser Karsove an den Ritterorden übereignet hat. Jedoch ist diese Urkunde umstritten [1], denn sie soll eine Fälschung des 14. Jahrhunderts oder bereits zu Mindaugas Lebzeiten entstanden sein, denn hier werden Gebiete "verschenkt", die Mindaugas gar nicht gehörten, weil sie nie von ihm unterworfen wurden.

1328 werden das Memelgebiet und Karschauen vom Livländischen Orden an den Deutschen Orden abgetreten: "quod tota terra Karsovitarum, cum castro et territorio Memelensis ad terram Prussiae de cetero integraliter in perpetuum pertinet sit."

Einwohner

Über die Bevölkerungsdichte ist nicht viel bekannt. Die litauischorientierte Literatur geht von "ziemlich bewohnt" aus, die deutsche Literatur von "denkbar gering". Wie dem auch sei, auf den "Litauenreisen" des Ordensheeres wurden Gefangene verschleppt, zerstörte Vorburgen mussten nach dem Abzug der Ritter wieder aufgebaut werden und die Karschauer waren sogar in der Lage, Züge nach Memel zu unternehmen. Andererseits war der Kriegszug mit einem großen Heer ziemlich wirkungslos geblieben, und der mit einem Heer von 80 Mann machte lediglich 70 Gefangene und war typisch für kleine zu erobernde Areale und sagt nichts über die Bevölkerungsdichte aus.

Das für den Orden einzig lohnende Ziel jenseits von Ragnit war wohl die litauische Burg Oukaym (Batakiai). Ansonsten erzählen die Berichte der Struter (Kundschafter für den Orden) lediglich von Wegen "durch pusch und durch walt". Zudem war das Jurabecken wegen des fast geschlossenen Waldes fast völlig siedlungsleer.

"Auf Grund seiner Boden- und Entwässerungsverhältnisse gehört es zu den siedlungsfeindlichsten Landschaften von ganz Litauen. Auch im Mittelalter kann es daher nur eine geringe Bevölkerung ernährt haben und hat sicher große, wenn nicht sogar weit überwiegende Wildnisgebiete enthalten." [2]

Lebensweise

Die Karschauer wanderten an den Südrand Hochzemaitens ab. Anders als bei den Kuren, deren Abwanderung nach Norden klimatisch bedingt war, beruht die Abwanderung der Karschauer ursächlich auf dem Druck, den die Ordensritter machten.

Die Karschauer ernährten sich von den Gütern, die die Wildnis hergab und hatten dafür zu zinsen. Im Ämterbuch der Komturei Memel werden karschauische Schulden aufgeführt. 1376 "item by den Karschow 17 ku (Kühe), item 2100 wasbalge (Fuchsfelle), die sie schuldig sint"; 1378 "item lisse wir by den Karschowen 17 ku an schult. item 4000 vochsbalge, item 350 balge ouch an schult"; 1398 "item von der vorgeschrebenen schult hat man dem voithe (Vogt) czu Samaythen (Zemaitien) gegeben 93m. dovor hat man dem kompthur czur Memil gegeben 30 m, dasher sich der 93 m vorczogen hat."

Die Schuldeintragungen weisen die Karschauer also als Wildnisnutzer aus, die gleichzeitig Viehhaltung betreiben. Archäologische Funde aus der Jungsteinzeit zeigen einen in sich geschlossenen Siedlungsraum, der sich nach außen durch einen siedlungsleeren Raum abgrenzt. Die Bevölkerung dürfte demnach recht gering gewesen sein und sich bis zum Eintreffen der Ordensleute nicht wesentlich vergößert haben, da sich auch an diesem Lebensraum nichts geändert hatte.

Man kann daher bei den Karschauern nicht von der damals typischen "Todesfeindschaft" zwischen Heiden und Christen sprechen, denn sie zahlen schließlich ihren Tribut, möglicherweise gezwungenermaßen und widerwillig. Denn anders auch als in den frühen Jahren des Kampfes gegen die Prußen hatte sich der Stil der Ordensritter langsam vom reinen Kreuzzug zu einem politischen Kampf entwickelt: mit diplomatischen Beziehungen, mit Teilfrieden und mit Waffenstillständen. Allerdings hatte der Orden zu Beginn des 14. Jahrhunderts die Karschauer noch rücksichtslos bekämpft, so dass diese ihre angestammten Siedlungsplätze aufgeben mussten. Später gestattete er denselben Karschauern die Nutzung der Wildnis, die im Gegenzug bereit waren, dafür Entgelt zu entrichten.

Nationalität der Karschauer

Die Nationalität der Karschauer dürfte wohl nie mehr geklärt werden. Polnisch-litauische Forscher traten für eine litauische Zugehörigkeit ein, deutsche Forscher hielten sie für fraglich, aber eher nicht-litauisch. Lediglich der Wissenschaftler Kasimiras Būga hat unabhängig von allen, ausgehend von sprachlichen Untersuchungen, auf eine kurische Zugehörigkeit geschlossen.

Peter von Dusburg, der Ordenschronist, hat tatsächlich Karschauen im Zusammenhang mit den Litauerzügen genannt. Allerdings unterscheidet Dusburg auch zwischen Preußenkrieg und Litauerkrieg. Über die Schlacht von Durben gegen die Kuren berichtet er beispielsweise im Zusammenhang mit Preußenkriegen. Die jeweiligen dazwischen liegenden Völker müssen also nicht zwingend zu einem der bekriegten Völker gehört haben. Dass die Burg Putenicke vom Litauer Spudo an den Orden verraten wurde, sagt ebenfalls nichts über die Zugehörigkeit der Karschauer aus, zumal umstritten ist, wie Putenicke zuzuordnen ist.

Die Rechnungsbücher des Ordens unterscheiden genau zwischen Zemaiten und Litauern, setzen jedoch niemals die Zugehörigkeit der Karschauer mit den Litauern gleich sondern stellen sie öfter gegenüber. Zudem gehörte Karschauen bis ins 15. Jahrhundert zur Kurländischen Diözese. Auch wenn Karschauen bereits 1328 an den Deutschen Orden abgetreten wurde, muss der Kurländische Orden noch irgendwelche Anrechte auf dieses Gebiet gehabt haben, so dass eine kurische Zugehörigkeit Karschauens sogar wahrscheinlich sein kann.

Name

Unbestritten ist, dass es sich bei Karschauen um einen Landschaftsnamen handelt, der mit tiefem Wald zu tun hat. Kazimiras Būgas Annahme, dass Karschauen kurisch sei, ist nicht abwegig, denn der lettische Begriff „Jagd“ scheint dies zu bestätigen. Solches bestätigt auch Georg Gerullis, der das litauische Karšuva mit ostlettischen Koršuva gleichsetzt. Zudem gibt es in Lettland noch den Ort Karsau/Korsowka. Andererseits geben Hans und Gertrud Mortensen den Hinweis, dass in den Ordensquellen neben Carsovite und Karschauer auch einmal die Schreibweise Skarsschen vorkommt. Das wiederum kann auf eine zemaitische (dichtbelaubt) oder prußische (herber Geruch) Zugehörigkeit weisen. Grasilda Blažiene weist beim samländischen Ort Karschauen auf prußische Personennamen, lehnt jedoch eine litauische oder lettische Ableitung ab sondern verweist auf zemaitisch Höhle, Grotte. Eine ostbaltische Zugehörigkeit dürfte eh kaum wahrscheinlich sein, denn im litauischen Wortschatz gibt es keinen Begriff, der annähernd zu dieser Landschaft passen könnte.

Keiner der Forscher ist dagegen auf den Gedanken gekommen, dass es sich bei den Karschauern um Verwandte der prußischen Schalauer und Sudauer handeln könnte, obwohl doch etliche Ähnlichkeiten bestehen: Der Wegfall des Anfangs-S kann kurisch sein, ist aber auch typisch für den schalauischen Dialekt. (z.B. Skarsschen zu Karschau entspricht Skalowite zu Kollwitz). Antanas Salys schließt bei Karšuva auf eine litauische Zugehörigkeit, weil –uva eine Endung sei, in der in Litauen Landschaftsnamen bezeichnet werden. Allerdings scheint ihm entgangen zu sein, dass die prußischen Landschaften Schalauen (Skalowe), Nadrauen (Nadruwe) und Sudauen (Sudowe) ebenfalls diese Endung haben, die er für ausschließlich litauisch zu halten scheint.

Während es in ganz Litauen lediglich den Ort Karšuva nordöstlich von Tauroggen gibt, also nur in der Landschaft Karschauen, haben wir dagegen auf prußischem Territorium einen Karschauer Wald bei Danzig und einen Karschauer Wald im Ermland. Dazu gibt es die drei Ortschaften Karschauen in Barta, im Ermland und im Samland sowie einen Prußen namens Johan Karsow, der 1336 in Laukischken Kr. Labiau erwähnt wurde. Letztlich sind noch die Orte Karschen in der Niederung, Korschen im Kr.Rastenburg, Corseen im Gebiet Brandenburg sowie Corslauken/ Karslauken im Gebiet Gerdauen zu erwähnen.

  • zemaitisch „skarotas“ = dichtbelaubt, üppig, vielästig
  • „karsa“ = Höhle, Grotte
  • lettisch „ķeršana“ = Jagd
  • prußisch „kars“ = ranzig, herb (ein Begriff, der auch auf den Geruch von Bäumen angewandt wird)
  • „kerst, skerst“ = fällen

(Beate Szillis-Kappelhoff)

Literatur

  • Blažiene, Grasilda: Hydronymia Europaea, Sonderband II, Die baltischen Ortsnamen im Samland, Wolfgang Schmid Hrsg., Steiner Verlag Stuttgart 2000, S. 56
  • Gerullis, Georg: Die altpreußischen Ortsnamen, Berlin, Leipzig 1922, S. 57
  • Mortensen, H. u. G.: Die Wildnis im östlichen Preußen, Ihr Zustand um 1400 und ihre frühere Besiedlung, Leipzig 1938, S. 183 ff
  • Peteraitis, Vilius: Mažosios Lietuvos ir Tvankstos Vietovardžiai, Ju kilme ir reikšme, Vilnius 1997, S. 173
  • Salys, Anton: Die zemaitischen Mundarten, Teil 1: Geschichte des zemaitischen Sprachgebiets Tauta ir Zodis, Bd-VI Kaunas 1930 (= Diss.Leipzig 1930), S. 31 ff
  • Trautmann, Reinhold: Die altpreußischen Personennanmen, Göttingen 1974, S.43

Weblinks

  • LOCATING THE CASTLE OF ST. GEORGE IN KARŠOVA (1259-1260) [3]
  • Kampf um Memel, Erinnerungen litauischer Politiker in Annaberger Annalen [4]

Einzelnachweise

  1. Karge, Paul: Die Litauerfrage in Altpreußen in geschichtlicher Beleuchtung, Königsberg 1925, S.83
  2. Mortensen, H. u. G.: Die Besiedlung des nördlichen Ostpreußen bis zum Beginn des 17.Jh., in Deutschland und der Osten. Die preußisch-deutsche Siedlung am Westrand der Großen Wildnis um 1400, Bd.8, Leipzig 1937, Teil II, S.194

Daten aus dem genealogischen Ortsverzeichnis

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